EP | Mega! Mega! „Die Nerven liegen blank“

Aha, sodann: Mega! Mega! also. Nun gut. Eine Spur kleiner ging es nicht? „Na klar ist der Bandname reiner Größenwahn!“, sagen sie selber. Und dazu: „Warum denn auch nicht?!“ Womit eines ganz zu Beginn schon mal klargestellt wäre: Das Duckmäuser- und Drückebergertum ist ihre Sache nicht. Schon gar nicht das in der heutigen Indie-Szene so verehrte, larmoyante Betrachten der eigenen Schuhspitzen. Was ist noch mal das Gegenteil von Shoegazing? Eben das hier. Eben: Mega! Mega!. Mal schnell die Dinge klar stellen. Mit der Draufgänger-Brille die eigenen Geschichten vom Wochenende sezieren, darin Potenzial und Pointen entdecken – und schon schreibt man einen Song über das Glück der kostenlosen zweiten Person bei der Monatskarte der Berliner Verkehrsbetriebe. Der im Ergebnis auch noch fetzt wie ein Frettchen in der Ranz, und voller Wortwitz die Absurditäten des Alltags skizziert. Im Prinzip könne alles zu einem Song werden, finden sie. Es muss nur etwas dran sein an der Geschichte, das bewegt, berührt, vertraut erscheint. Denn wenn man schon auf Deutsch singt, spricht, rappt, kodderschnauzelt, dann sollte der Text für den Zuhörer eine Verbindung herstellen können. Sonst wäre das mit den Texten ja auch Quatsch.

Zugegeben: Im ersten Moment wird man irritiert, fühlt sich fast ein bisschen verschaukelt, man sucht nach dem Kern, dem Wesen dieser Band. Ist das noch lustig oder schon von ätzendem Humor? Sind sie als Band, als Typen, tatsächlich so eigensinnig, wie ihre Musik dies vermuten lässt, oder wissen sie nur um das strategisch sinnvolle Element des Individualismus? Legen sie es darauf an, diese sau-elegant verdichteten, zugleich angenehm ungehobelt rausgehusteten Straßenhits für Straßenkids gleich in Reihe auszubaldowern, von denen locker jeder zweite das deutsche Konfektionsradio gründlich aufmischen würde? Oder haben sie einfach nur Glück, dass der Musikgeschmack der vier Mitglieder so weit auseinander liegt, dass als Schnittmenge zwangsläufig ein räudig bellender Genre-Bastard entstehen muss? Ist ihnen bewusst, mit welcher Lässigkeit sie ihre kantigen Songschubdüsen mit einem ungeheuer gut funktionierenden, subtilen Smash-Hit-Gen aufladen?

Dies sind nur ein paar der Fragen, die einem beim Hören von Mega! Mega!s Debütalbum in den Sinn kommen. Das Interessante ist: Die Antworten darauf sind diffus, manche davon heute so und morgen so – und gerade deshalb holen Mega! Mega! den Hörer unmittelbar ab und nehmen ihn mit. Wie sehr das der Fall ist, weiß jeder, der mal eines ihrer Konzerte sah. Es sind die reinsten Herzschrittmacher. Aber auch das nicht aus Kalkül oder weil man sich selber auf der Bühne so geil findet. Mega! Mega! sehen darin nur eine der logischen Notwendigkeiten von Musik und somit durchaus einen unterschwelligen Erziehungsauftrag. Einer Erziehung zur Freiheit wohlgemerkt, denn wofür sonst sollte man allmorgendlich die Augenlider öffnen und der Welt begegnen?

Ihr künstlerischer Freiheitsdrang purzelt aus bald jedem Song des Albums. Müsste man sich entscheiden – und wir wollen eigentlich versuchen, das zu vermeiden – mit welchem gängigen Begriff die Musik von Mega! Mega! gut beschrieben wäre, man würde aus der Not heraus sagen: Indie. Obschon ein ganz moderner, hundsfrecher, vor keiner noch so abwegig veranlagter Inspirationsquelle scheuer Indie. Doch hinter den marschierenden Drums, dem Stakkato-Bass, den scharfkantigen Eck-Eck-Gitarren und dieser fordernden, jede Duktus-Nuance genau ausarbeitenden Stimme steckt mehr: Da sind vier Musiker am Werk, für die es vollkommen natürlich ist, gründlich ernst gemeinte Rock-Gitarren mit pfiffig überraschenden Einwürfen zu schmücken, die weit entfernt sind vom Indie-Kosmos. Das Ergebnis gibt ihnen Recht: Das passt alles, als hätte es schon immer dahin gehört. Damit werden ihre Songs zu mehr als Musik und Ton: Sie werden zu einem Gefühl. Sowohl lyrisch als auch musikalisch ist alles dann genau richtig, wenn es sich gut anfühlt. Was, wie sie unisosno bestätigen, der zentrale Parameter dafür ist, ob etwas Mega! Mega! ist: Wenn du es fühlst, kann es nicht falsch sein.

Man denkt jetzt: Eine Band, die dermaßen nassforsch aus der Indie-Historie zitiert (im übrigen: ohne sich dessen bewusst zu sein), die bei aller Ambition nie den Humor auch sich selbst gegenüber verliert, die rock-rappt und rap-rockt, ohne je das eine oder das andere wirklich zu sein, die mit Straßenslang spielt, als handle es sich dabei um eine Art Bonmot-Sudoku, die sich ihren individualistischen Charme nie bewusst macht, gerade um ihn nicht zu verlieren – eine solche Band kann nur aus Berlin kommen. Das Urbane, das Tempo, die Chuzpe und naturgegebene Selbstbehauptung, ein Auge für das Besondere im Banalen: Klingt alles nach einer mit allen Hauptstadt-Weihwassern gewaschenen, abgezockten Bande, die schon in der Grundschule den Klassenkameraden ihre Mittagspausen-Kinderriegel aus dem Tornister gemopst hat. Die Berlin-Vermutung ist so circa halbrichtig: Seit zwei Jahren lebt die komplette Band vor Ort, die Stadt prägt Mega! Mega! seither auch eindrücklich, nachdem Sänger Antonino Tumminelli weitere zwei Jahre zuvor schon mal vorging. „Wir wollen nicht nach Berlin?“ Von wegen. Geschissen.

Dieser geografische Radikalwechsel trug ebenso tiefgreifende Früchte für die Band. Mit einem Wort: Sie erfanden sich mal eben komplett neu. Mehrere Jahre waren sie schon durch die Lande, vor allem die süddeutsche, getingelt, mit völlig anderer Musik als ihrer jetzigen. So richtig wollte der Funke bei ihnen aber nie überspringen. Die Vier entschieden, dass jeder getrennt von den anderen seine eigenen Erfahrungen machen solle. Sie hatten es im Bauch: Sie würden schon wieder zusammen finden. Früher oder später. Und dann definitiv anders.

Damals lebten Antonino Tumminelli, Gitarrist Peter Weiler, Bassist Daniel Welsch und Drummer Cornelius Lay in Orten mit so putzigen Namen wie Saarlouis-Fraulautern, Ensdorf-Hasenberg, Lisdorf-Holzmühle oder Differten uff der Kupp. Antonino entfloh dem künstlerischen Ödland der saarländischen Provinz als erster, gerade als die Band wieder Fahrt aufnahm. Nach zwei Jahren elendigen Hin- und Herreisens zwischen dem Nordosten und Südwesten der Republik hatte er die anderen so weit. Jetzt sind Mega! Mega! dort, wo sie hingehören. Und wo sie bereits seit langem äußerst gern gehört werden – ihr lokaler Status ist für eine Band, die noch nicht einmal ihr Debüt draußen hat, geradezu hysterisch. Hier haben sich zwei gefunden, die zusammen gehören. Zumal sie das Grantelige der Berliner Schnauze nicht, wie die meisten, als abstoßend empfinden. „Wir sind doch selber so“, kommentieren sie lapidar.

Seit die Vier wissen, was Mega! Mega! ausmacht, wo ihre Stärken liegen und wie man in drei Minuten und mit einigen wenigen Akkorden alles sagen kann, was es zu sagen gibt, überschlagen sich die Ereignisse. Natürlich standen schnell die ersten Talentscouts im Konzertpublikum – denn mal unter uns: die Musik von Mega! Mega! ist nicht nur extrem mitreißend und euphorisierend, sondern ganz nebenbei und glaubwürdig unbeabsichtigt auch tüchtig heißer, gekonnt abgehangener Scheiß für die U30-Indiefans. Im vergangenen Jahr unterschrieben sie ihren Deal mit Roadrunner Records. Als sich Roadrunner kurz darauf Warner Music anschloss, landeten sie quasi ungeplant in ihrem ersten Major-Vertrag, worüber beide Seiten heute sehr glücklich sind. Das Ergebnis dieser fruchtbaren Liaison erblickt nun in Gestalt ihres Debütalbums das Licht der Welt. Damit haben sie einen Erstgeborenen ausgebrütet, der in seiner verbindlichen Rotzigkeit einen schwindelerregenden Paarungstanz mit Refrains für Tausend Kehlen vollführt. Mega! Mega! steigen also bereits auf einem extrem hohen künstlerischen und Energie-Level ein, an dem sich fortan alles messen lassen muss. Aber auch das finden sie gar nicht schlimm, sondern genau richtig. Schließlich wächst man mit den Herausforderungen. An diesen dürfte es dem Vierer in diesem Jahr nicht mangeln. Denn jetzt geht es erst los. Richtig los.

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Quelle: Warner Music | Promotion Werft