ALBUM | Malakoff Kowalski „I love you“ | ab heute

Um im Studio selber zu verstehen, was ich eigentlich gerade mache, suche ich mir oft Filmausschnitte aus dem Netz, schalte den Ton aus und lasse meine Aufnahmen dazu laufen. Die Bilder werden dabei zum Korrektiv für die Musik, und wenn also mein letztes Album „Kill Your Babies“ ein französischer Nouvelle-Vague-Film aus den 60ern in Schwarz-Weiß war, dann ist das neue Album eher ein Wes-Anderson-Farbfilm von heute – der in Los Angeles, Tel Aviv und Neapel spielt; vielleicht auch auf einem Schiff Richtung Riviera.

Der Titel „I Love You“ wirft natürlich viele Fragen auf und bewegt sich nah an der Grenze zu schlimmen Fehlern, die man so machen kann. Ich weiß noch, wie ungefähr die Hälfte der Platte fertig skizziert war, und mich quälten Zweifel, ob ich damit irgendetwas, vielleicht sogar etwas Neues, zu sagen hatte. Auf Youtube entdeckte ich zufällig „Blue Sands“ von Chico Hamilton und John Pisano beim Newport Jazz Festival 1958. Geflüsterte Voodoo-Trommeln und eine Gitarre so einfach, schön und schief, so zerbrechlich und aggressiv, wie es eigentlich gar nicht geht. Ich wollte sofort aufhören mit allem. Brauchte ausgerechnet ich wirklich ein neues Album? Filme, Riviera, Musik? Wo stehe ich? Es wurde kompliziert.

Außerdem war ich verliebt und glücklich. Ist es in diesem Zustand überhaupt möglich zu arbeiten? Jedenfalls hielten wir uns im Arm, und auf einmal sagte ich: „Ich möchte ein Album machen, das sich genauso gut und warm anfühlt wie diese Umarmung.“ In diesem Moment spielt alles andere keine Rolle. Die Konzepte und Neurosen, die man hat. Die Probleme der Welt. Die politischen Widersprüche, in denen wir leben. Alles egal für einen Augenblick. Am nächsten Tag schrieb ich das Stück „How I Think Of You“ und nahm es in drei, vier Stunden auf. Ich legte mich mit dem Rücken auf den Boden (was ich sonst nie tue), um den Bass im Holz unter mir zu spüren, hörte das Lied endlos im Kreis und freute mich wie ein Kind, dass ich scheinbar doch noch Musik machen konnte. Ich war repariert und brauchte nur noch wenige Monate für den Rest des Albums.

Angefangen hat alles in Los Angeles. Das letzte Album „Kill Your Babies“ hatte die unglaublichsten Kritiken bekommen – das Leben war schön und privat. Ich saß in der Sonne und trank Mandelmilch und spielte mit dem Gedanken, Vegetarier zu werden. Da rief mich Klaus Lemke aus Deutschland an und erzählte von einem neuen Film und einer Titelmusik. Für unseren fünften gemeinsamen Film schrieben wir zusammen am Telefon „Blue Magic Berlin“. Weil ich aber rechts den Ozean, unten am Hügel West Hollywood und links Downtown L.A. vor mir sah, klang das Stück nur wenig nach Berlin. Es war ein neuer Sound, der mich überraschte. Amerikanisch, kalifornisch, Blue Magic. Und ich merkte, das könnte der Anfang von einem neuen Album sein. Ich summte ein paar Takte dazu – ich hatte schon lange nicht mehr richtig gesungen –, und ein bisschen Stimme gefiel mir ganz gut. Auf „Mulholland Chocolate Martini“ wurde aus dem Summen ein „Doo Doo Doo“, und daraus wurde irgendwann „Take Some Abuse“. Rodriguez, Bob Dylan, Leonard Cohen, Richie Havens? Ich weiß es nicht. Aber es machte Spaß, und statt mich vor Sonnenbränden zu schützen, war ich im Studio und beschäftigte mich mit Singen.

Ich bin in den letzten zwei Jahren viel gereist und hatte nicht immer ein Klavier zur Hand, also spielte ich oft Gitarre und Bass. Eigentlich benutze ich immer das, was gerade in der Nähe ist. In Hamburg stand im Studio ein Vibraphon. Das Schlagzeug nehme ich am liebsten auf alten, großen Reisekoffern auf – die findet man in jeder Stadt auf Flohmärkten ohne Probleme. In Berlin läuft es meistens aufs Akkordeon und Pfeifen hinaus. Dort ist auch „Sweet Anna“ entstanden. Ich saß bei Maxim (Biller) im Wohnzimmer, und wir waren beide depressiv und gelangweilt. Da sagte er halb tot, halb im Scherz: „Komm, wir schnappen uns meine Gitarre und ‚jammen‘ zusammen.“ Ich „jamme“ aber nicht. Niemals und mit niemandem. Schon das Wort ist ein Albtraum. Aber er hörte nicht auf zu nerven und hängte mir einfach die Gitarre um den Hals. Wir waren so schlecht drauf, dass ich wirklich anfing, irgendetwas zu spielen. Maxim pfiff ein kleines Thema dazu, und am Ende war ich doch sehr froh, dass ich meine Regeln gebrochen hatte.

Das letzte Stück fürs Album war „Carcosa“. Eine im Archiv verschollene Klavier-Improvisation, festgehalten auf einem Diktiergerät in San Francisco. In Köln, wo ich am Schauspielhaus die Musik für Stefan Bachmanns „Parzival“ und Angela Richters „Supernerds“ schrieb, tauchte die Aufnahme wieder auf, und aus der simplen Einzelspur wurde ein (für meine Verhältnisse) eher komplexer Song. Das hat etwas mit Jazz zu tun; ich nenne es „Beat-Jazz“. Und ich glaube, das nächste Album wird direkt an diesem Punkt weitergehen. Nicht die schlechtesten Aussichten. Es ist toll, wenn man denkt, es gibt noch etwas mehr zu erzählen. (MK)

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Biografie

Malakoff Kowalski (* 21. Juni 1979 in Boston/USA als Aram Pirmoradi) ist ein deutsch-amerikanisch-persischer Sänger, Musiker, Komponist und Produzent. Seine Eltern stammen aus Teheran; er ist aufgewachsen in Hamburg.

2005 veröffentlichte Kowalski mit der Band Jansen & Kowalski das Debüt-Album „Action“, das er kurz darauf als „Mahnmal für ein verpfuschtes Schaffen“ bezeichnete. Nach Auflösung der Band erschien 2009 das Krautrock-Solo-Album „Neue Deutsche Reiselieder“ mit einem DEICHKIND-Remix der Single „Andere Leute“. Das Video zu dem Stück stammt von Filmregisseur KLAUS LEMKE. Für Lemke produzierte Kowalski seit 2008 die Originalmusiken für bislang fünf veröffentlichte Spielfilme.

2012 erschien das Album „Kill Your Babies – Filmscore For An Unknown Picture“ – eine Zusammenarbeit mit dem Maler DANIEL RICHTER, dem Schriftsteller MAXIM BILLER und Klaus Lemke. Das instrumentale Album wurde von CLAUDIUS SEIDL in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ als „CD des Jahres“ aufgeführt und erhielt sehr gute Kritiken.

Im gleichen Jahr arbeitete Kowalski zum ersten Mal mit der Theaterregisseurin ANGELA RICHTER zusammen. Das mittlerweile dritte gemeinsame Stück „Supernerds“, basierend auf Interviews mit Whistleblowern wie EDWARD SNOWDEN, DANIEL ELLSBERG und JULIAN ASSANGE, wurde 2015 in Köln am Schauspielhaus uraufgeführt.

Malakoff Kowalski lebt seit 2007 in Berlin.
(www.malakoffkowalski.de)

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Quelle: MPS | Promotion Werft