Eine Gitarre und eine Stimme. Mehr braucht der von Geburt an blinde Gurrumul nicht, um unmittelbar unter die Haut zu gehen. Er entstammt als Aborigine einer der wohl ältesten überlebenden Zivilisationen der Welt. Geboren wird er 1970 auf Elcho Island, einer paradiesischen Insel in den Weiten im Norden Australiens. Sein Volk sind die Gumatj. Und seine Sprache und damit auch die seiner Lieder ist Yolngu.
Er wächst in einer Kultur auf, die verglichen mit der europäischen unterschiedlicher nicht sein könnte. Musikalische Erfahrung sammelt er schon früh. Als kleines Kind schnappt er sich am Strand liegende Blechdosen und trommelt mit Ästen vom Eukalyptusbaum, wie aus dem Nichts, höchst komplexe Rhythmen. Zuhause entlockt er sogar einem völlig verstimmten Akkordeon noch reizvolle Melodien. Als er auf eine abgeranzte Gitarre mit Saiten aus Angelschnur stößt, hat er innerhalb weniger Wochen raus, wie so ein Instrument zu klingen hat. Doch über allem strahlt die Spannbreite seiner fast engelsgleichen Tenor-Stimme. Das überaus große musikalische Talent haben ihm die Geister seines Volkes als Ausgleich für das fehlende Augenlicht geschenkt. Daran hegen seine Eltern und die ganze Familie keinerlei Zweifel.
Bevor er als Solist loszieht, findet sich der Name Gurrumul in den Besetzungslisten der erfolgreichen Aborigine-Bands Yothu Yindi und Saltwater. Gurrumul spricht so gut wie nie und gibt demzufolge auch keine Interviews. Sein Volk hat für ihn die Rolle des Sängers vorgesehen, nicht für die als Redner. Dafür reden andere über ihn. Darunter große Kollegen. Sting etwa, der ihm attestiert: „So kann nur die Stimme eines höheren Wesens klingen.“ 2011 ziert Gurrumul das Cover des Rolling Stone, der ihn in einer Kritik als „die wichtigste Stimme Australiens“ herausstellt. Auch Quincy Jones lässt sich vom Gesang Gurrmuls becircen. „Seine Stimme ist eine der ungewöhnlichsten und emotionalsten, die ich je hören durfte.“ Selbst US-Präsident Barack Obama lässt es sich nicht nehmen, sich mit Gurrumul ablichten zu lassen.
Im Oktober 2015 erscheint nun Gurrumuls dritte Veröffentlichung, „The Gospel Album.“ Darüber mag man sich wundern. „Doch Gurrumul wird als kleiner Junge nicht nur mit der traditionellen Musik seines Volkes vertraut gemacht. Er lauscht auch jeden Sonntag dem Gospel-Gottesdienst in der örtlichen Methodisten-Kirche. Diese geistlichen Gesänge eroberten schnell auch die Herzen der Aborigine, passten sie mit ihren Rhythmen und großformatigen Chören doch wunderbar in deren musikalische Konzepte und den im Volk der Gumatj gängigen Gruppengesang“, erklärt Gurrumuls Bassist Michael Hohnen, „beides hat Gurrumul bleibend geprägt. Was also lag näher, als die Gospelstücke für Gurrumul zu adaptieren?“ Das Schlüsselstück der Platte ist ganz sicher „Amazing Grace.“ Ein Lied, das jeder kennt, doch so, wie Gurrumul es zu Gehör bringt, hat es noch niemand gesungen. Jede einzelne Note bewegt. Gurrumul gibt dem Stück (und den anderen Gospelstücken auch) ihre Heiligkeit zurück. Verleiht ihnen eine so nie gekannte emotionale Komponente. Entzieht die Stücke ihrer Weltlichkeit. Macht sie zu ganz privaten Gebeten. Reflektiert dabei das Gute und Böse gleichzeitig, weil er weiß, dass beides unerlässlicher Teil des Lebens ist, zudem letztlich auch der Tod gehört. Vielleicht fällt ihm das gerade deshalb so leicht, weil die Aborigines eine ganz andere Beziehung zu Geistern und den Schatten ihrer Vorfahren pflegen. Diese Ausdeutung der Gospel-Klänge lässt die Zuhörer atemlos und mit Tränen in den Augen zurück. Wenn jemals mit Fug und Recht über Wahrhaftigkeit in der Musik geredet werden darf, dann bei Gurrumul und seinem so ganz eigenen Klangkosmos.
Einer Welt, der sich niemand entziehen kann, weil sein Gesang ihr in ihrer Gesamtheit einfache und doch vollendete Schönheit verleiht.
.
Quelle: MVKA/Rough Trade | Promotion Werft