Ungefähr 400 Meilen südlich von Atlanta, auf einem Feld nahe der Stadt Byron, findet sich eine Gedenktafel, die von der Georgia Historical Society errichtet wurde und auf der folgender Text zu lesen ist: „An diesem Ort fand vom 3. bis zum 5. Juli 1970 das Second Atlanta International Pop Festival statt, in dessen Rahmen damals über 30 Livebands auftraten. Mit dabei war auch Jimi Hendrix, der bei diesem Event vor dem größten Publikum seiner Karriere spielte.“
Trotz der überwältigenden Zuschauermassen – man schätzt die Besucherzahl auf 300000 bis 400000 – stand das Festival lange im Schatten anderer Großereignisse. Doch heute ist klar, dass das Atlanta Pop Festival von großer Musik-historischer Bedeutung war.
Der neue Dokumentarfilm Jimi Hendrix: “Electric Church“ widmet sich Jimis Atlanta-Gig und bietet interessante Einblicke in die Festival-Kultur jener Zeit. Die Dokumentation wird auf DVD und Blu-Ray über Experience Hendrix L.L.C. und Legacy Recordings, die Katalogabteilung von Sony Music Entertainment, veröffentlicht. Anders als die im US-TV ausgestrahlte Fassung enthält diese Version zusätzliches Bonusmaterial. Das Atlanta Pop Festival, das damals als „Southern Woodstock“ bezeichnet, zählt heute als das letzte große amerikanische Festival jener Zeit.
Die DVD Jimi Hendrix: „Electric Church“ zeigt, wie Promoter Alex Cooley seinen Traum vom ultimativen Festival in die Tat umsetzte. Cooley hatte mit Bob Seger, BB King und den Allman Brothers bereits Top-Acts an Bord engagiert, aber erst durch die Zusage von Jimi Hendrix avancierte die Veranstaltung zu einem Großereignis.
In der Dokumentation kommen Jimis Bandkollegen Billy Cox und der verstorbene Mitch Mitchell zu Wort, außerdem gibt es Interviews mit Paul McCartney, Steve Winwood, Rich Robinson, Kirk Hammett, Derek Trucks, Susan Tedeschi und Alex Cooley. Jimis Auftritt wurde damals auf 16mm gefilmt. Der Gitarrist spielte sensationelle Versionen seiner Klassiker “Hey Joe”, “Voodoo Child (Slight Return)” oder “Purple Haze”. Hendrix präsentierte seinem Atlanta-Publikum aber auch Songs, die damals noch nicht auf einem seiner Alben zu hören waren: “Room Full Of Mirrors” oder “Straight Ahead” hätten sicher den Weg auf den damals geplanten neuen Longplayer gefunden, an dem Jimi gerade arbeitete. Doch nur knappe zehn Wochen nach diesem Auftritt folgte die bestürzende Nachricht vom Tod des Gitarristen. Ein weiteres Highlight des Films ist Jimis Interpretation von “The Star Spangled Banner”, das er vor einem spektakulären Feuerwerk spielte. Ein Moment, der, wie sich Cooley erinnert, „das Publikum aus den Socken haute“.
Zu Beginn der 1970er gehörten Live-Gigs von Jimi Hendrix zu den spektakulärsten Shows, die man erleben konnte. Die Musikwelt war voller Begeisterung für die neue Interpretation der Blues-Gitarre, die der Künstler auf der Bühne zelebrierte. So erzählt Paul McCartney im Interview auf „Electric Church“, Jimi Hendrix verehrt zu haben und sagt: “Wir spielten Gitarre und kannten uns ein wenig mit unserem Instrument aus. Er aber schien mehr zu wissen als wir alle.“ Dank Jimi Hendrix erlebten Musikfestivals einen wahren Boom. Er spielte 1967 in Monterey, war Headliner beim 1968er Miami Pop Festival und erschuf 1969 mit seiner atemberaubenden Woodstock-Performance den Soundtrack der Gegenkultur.
Seine Show beim Second Atlanta International Pop Festival war nicht nur musikalisch herausragend, auch deren sozio-politische Relevanz kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Denn die Veranstalter wollten mit ihrem Event auch ein Zeichen gegen die klassischen Vorurteile setzen, die besagten, dass die Landbevölkerung keine „Langhaar-Bands“ akzeptierte und dass farbige und weiße Musiker nicht beim selben Event auf die Bühne gehen sollten. Hendrix und seine Botschaft von der universellen Liebe machten ihn zum idealen Musiker, um gegen die Vorbehalte anzuspielen.
Bald danach starben anarchische Festivals dieser Dimension, die ohne astronomische Ticketpreise und Unterstützung von Sponsorenhilfe stattfanden, aus. Glenn Philipps von der Hampton Grease Band kommentiert diese Entwicklung so: „Eine Ära ging zu Ende, und es war ein großartiges, unglaublich energiegeladenes Ende.“
Regisseur Steve Rash, der später mit Hollywood-Erfolgen wie „The Buddy Holly Story“ und „Can’t Buy Me Love“ berühmt wurde, orientierte sich bei seinem Film an der legendären Woodstock-Dokumentation. Doch weil es nie zu einer vertraglichen Einigung über die Filmrechte kam, lag das Material Jahrzehnte lang unbeachtet in Rashs Schuppen. Erstaunlicher Weise hat der Streifen unter dieser Behandlung kaum gelitten und vermittelt so auch dem Zuschauer von heute die Faszination des Festivals. Bill Mankin, der beim Aufbau des Festivals dabei war und auch die Bühnenarbeiter unterstützte, schrieb die Liner Notes für das Package. In seinen Ausführungen ist zu lesen: „Und im Auge des Sturms stand der Obermagier der Gitarre, die Personifikation eines erfüllten, wilden Lebens ohne Grenzen, der mit Höchstgeschwindigkeit auf die Sterne zusteuerte.“
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Quelle: Experience Hendrix L.L.C./Legacy/Sony Music