Als sich Lee Ryan und Antony „Ant“ Costa 2000 bei einem Casting kennengelernt und kurz darauf mit Duncan „Dunc“ James und dem von Lee entdeckten Simon „Sy“ Webbe ihre Band gegründet hatten, standen sie nur ein Jahr später mit ihrem Album-Debüt „All Rise“ auf Platz 1 der UK-Charts und hatten das Werk ein Jahr später weit über eine Million Mal verkauft. Auch die Nachfolger „One Love“ und „Guilty“ erreichten den Spitzenplatz im Königreich, wurden nun aber ebenso im Rest der Welt gefeiert. 2003 gelang es den Teenagern und Twens, an sieben Tagen in Folge Londons Wembley Arena auszuverkaufen – mit zwei Shows pro Tag.
Es ließe sich auch über diese Band ein Text schreiben, der den Leser vermutlich langweilen würde. Man müsste dafür allerdings die Musik von Blue ebenso weglassen wie die wahrhaft einzigartige Geschichte des Quartetts. Und sich stattdessen damit begnügen, einen Superlativ an die nächste eindrucksvolle Zahl zu reihen. Weshalb hier jetzt ein paar Eckdaten genügen sollen, bevor es um „Colours“, das mittlerweile fünfte Album der Briten geht, das nun endlich auch in Deutschland veröffentlicht wird.
Jetzt springen wir durch die Zeit, über die Jahre von 2005 bis 2009 hinweg, während derer Blue pausierte und alle Mitglieder eigene Projekte anschoben. Seit sechs Jahren gibt es sie wieder, und wer nun glaubt, das sei ja nichts Besonderes, muss sich eines klarmachen: Blue waren 2001 das, was man gemeinhin eine Boyband nennt. Und denen gesteht die Fachwelt nur eine sehr begrenzte Halbwertzeit zu. Außerdem stehen bei Blue nicht ein oder zwei Namen des Originals irgendwie einsam für den bemühten Fortbestand, die Band besteht über all die Jahre hinweg aus denselben Mitgliedern.
Die haben jetzt mit „Colours“ ein Album aufgenommen, das eine bewegte Historie besitzt. Ursprünglich sollte es eigentlich ein reines Cover-Album werden, und diese Jungs wuchsen alle bei Eltern auf, die sich für den Motown-Sound begeisterten. Wenn sie auf Tour waren, haben sie die alten Songs gesungen, im Bus, im Flugzeug, im Hotel, und schon damals planten sie, eines Tages ihre Favoriten auf einem Album zu versammeln. Als sie aber erst mal dafür im Studio waren, fingen sie gleich an, eigene Songs zu schreiben, der erste davon war „ „King Of The World“, der nächste „Home“. Und am Ende blieben halt nur vier Coversongs übrig. Darunter solch herrliche Klassiker wie das von Simply Reds bekannt gemacht worden „If You Don’t Know Me By Now“ von Harold Melvin & The Blue Notes oder das unkaputtbare „I Don’t Wanna Talk About It“ von Rod Stewart, beide im glänzend neuen Gewand.
Dem Erfolgsmodell liegt eine ziemlich seltene Band-Chemie zugrunde. Antony etwa hegt einen starken Hang zur Pünktlichkeit, er ist bei jedem Meeting oder Interview ein paar Minuten zu früh vor Ort. Simon geht es immer um Musik, er mag selten über etwas anderes reden und kennt fast alles, was es an Musik so gibt. Lee ist so etwas wie der Komiker der Band, ihm geht es darum, dass alle eine gute Zeit miteinander haben, und Duncan ist der Vermittler zwischen allen und hält die Gruppe zusammen. So ist aus der Boyband von 2001 eine R’n’B-Popband unserer Tage geworden, die in den letzten Jahren in 24 Ländern weltweit bejubelt wurde und dort 257 Shows vor insgesamt 1.8 Millionen Zuschauern gespielt hat, darunter ihre Sylvester-Show 2012/2013 vor dem Brandenburger Tor in Berlin. Und erst kürzlich spielten Blue in Ulan Bator, Hauptstadt der Mongolei, vor 25.000 enthusiastischen Fans – ein Unikat der Pophistorie. Die Geschichte dieser Band ist also längst noch nicht der Zielgeraden nahe.
Woran die mittlerweile kunterbunte Palette an Sounds und Stilen, der sich die vier Freunde bedienen, ihre Mitschuld trägt. Da mischen sich schwärmerische Balladen wie „You’re The Only One“ unter Pre-Disco-Stomper wie Johnny Bristols „Hang On In There Baby“, da erklingen Hymnen wie „Home“ neben Remineszenzen an den Doo-Wop wie „King Of The World“, all das im Sound des dritten Millenniums. Und wer sich nun eine Show der Band ansieht, lernt eine weitere Tugend der vier Briten kennen: Es wird kein Déjà-Vu geben vor ihren Bühnen, denn Blue legen größten Wert darauf, neue Songs auf keinen Fall in alten Choreographien feil zu bieten. Keine ihrer Tourneen glich bislang den vorigen, und dabei wird es auch bleiben.
Blue sind der lebende und höchst lebendige Beweis für die Ausnahme von der Regel. Es geht auch ganz anders. Es geht auch Blue.
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Quelle: 25 Media/ Rough Trade