Inga Humpe und Tommi Eckart sind Flaneure der Metropolen. Als Chronisten unserer Tage übersetzen sie die Beats von Berlin (und anderswo) in schwebende, atmosphärisch dichte Popsongs. Seit nunmehr achtzehn Jahren fanden sie dabei immer wieder neue Ansätze, ihren signifikanten Sound weiter zu entwickeln. Musik aus einem Leben in steter Bewegung.
Für die Vorgänger-Platte „Achtung Fertig“ hatten 2raumwohnung den großen Teich überquert, um sich vom Gefühl der US-Westcoast inspirieren zu lassen. Für ihr achtes Album wählen sie nun eine andere Versuchsanordnung. Man blieb im heimischen Berlin und suchte nur gelegentlich, im Gepäck minimalistisches Recording-Equipment, die Inspiration auf Reisen. Eine Platte also, deren Aura nicht von Orten oder speziellen Studiosituationen bestimmt ist. „Die Inspiration für „Nacht und Tag“ geht auf ein Stück zurück, das wir für einen Film geschrieben hatten“ erzählt Inga Humpe. „In der entsprechenden Szene kamen die Leute früh morgens aus einem Club ans Tageslicht. Und dieser Song verwandelte sich dabei von einem Clubtrack in ein sonniges Gitarrenstück. Das Ganze wurde letztlich gar nicht in diesem Film verwendet. Doch die Idee hat uns seitdem nicht mehr losgelassen.“ Entstanden ist das erste Doppelalbum ihrer Karriere. Eine Platte, die das Wechselspiel von Nacht-Stimmungen und Tag-Stimmungen in zweimal zehn Songs übersetzt.
Die ersten Songlayouts für „Tag und Nacht“ entstanden ab Januar 2015 im vertrauten Umfeld des Brunnen International Studios in Berlin. Vorher bespielten 2raumwohnung ausgiebig Clubs und Festival. Vorläufiger Bühnen-Schlusspunkt war das anschließende Klassikprojekt „Mein Traum ist länger als die Nacht“ mit den Bochumer Symphonikern. Das einst für die Leinwand entwickelte N/T-Prinzip war ihnen nicht mehr aus den Köpfen gegangen. Das zeigte sich bereits in der Vorab-Single „Somebody Lonely And Me“.
Die Nachtversion der Single greift die kühle Melancholie des analogen Electro-Pops der Achtziger auf, das Tag-Gegenstück löst die schemenhaften Geister in eine filigrane Swing-Stimmung auf. „Da 2raumwohnung aus der Clubwelt stammen, muss die Nacht zuerst genannt werden“, erklärt Tommi Eckart. „In einem Interview mit dem Künstler Daniel Richter haben wir einmal den interessanten Aspekt gelesen: `Anderer Pinsel, anderes Ergebnis auf der Leinwand`. Das hat uns bestärkt, an unserer anfangs eher spielerischen Idee weiterzuarbeiten und das gleiche Lied einmal mit dem Synthesizer- und einmal mit dem Gitarren-Pinsel zu malen.“
Musikalische Gäste wie Ingas Schwester Annette Humpe, Achim Hagemann, UMAMI oder Dieter Meier von Yello schauten vorbei und/oder wirkten gleich bei einzelnen Songs mit. „Als wir Dieter von der ganzen Geschichte erzählten, sagte er, dass schon bei Shakespeare-Aufführungen die Schauspieler mit unterschiedlichen Stimmen die Tag- und Nachtszenen gesprochen hätten. Wir konnten zwar bei unseren Recherchen dazu nichts Näheres finden, aber dieses alte Theaterprinzip schien sehr gut zu meinem wechselnden Gesangsansatz zu passen“.
2raumwohnung schreiben ihre prägnante Fusion von Pop(melodien) und Elektronik auf „Nacht und Tag“ fort. Dass Inga dabei wechselseitig englisch (!) und deutsch singt, mag in einer Tradition von Kraftwerk oder Falco stehen. Für 2raumwohnung ist es ein neuer Sprachmix, der ihre Ausdrucksvarianten erweitert. So gibt es elektronische Chansons, frei fliegende Utopien wie „Energie Multimillionär“ und das fluffige Credo zur ständigen Veränderung „Hey Schmetterling“. „Ich bin die Bassdrum“ kann als moderne Liebesgeschichte als Fortschreibung ihres Klassikers „Ich und Elaine“ gehört werden. „1993“ verweist mit leichtem Federstrich auf die einstigen Technojahre, als alle DJs noch Vinylscheiben mixten und schwere Plattenkoffer herumschleppten. Ein Song, der inspiriert ist von Marmions Retrotrance-Track „Schöneberg“. Dabei sind die „Tag“- und die „Nacht“-Versionen keineswegs allzu naheliegend aufgelöst. Einfach nur Moll-Tonlagen für Nacht- und Dur-Tonlagen für Tag-Stimmungen zu wählen, wäre ihnen dann doch zu schematisch. Stattdessen experimentieren mit ihrem Sujet.
Gefragt nach einem Statement zur aktuellen Lage in der Club/-Musikzene antworten Inga und Tommi nur: „Wir finden, dass wir zu wenig Konkurrenz haben“. Ein Scherz, der ihren legendären Status selbstironisch aufgreift. Sie wissen, dass sie bis heute einen langen Weg gegangen sind. Ihnen ist aber auch klar, dass das große Spiel mit „Nacht und Tag“ wieder neu beginnt. Vielleicht, so planen sie, lässt sich ja sogar ein Traum verwirklichen, der im Studio geboren wurde: Das Album jeweils in Tagkonzerten und Nachtkonzerten live zu spielen.
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Quelle: It Sounds (Rough Trade)