ALBUM | Eric Andersen „Silent Angel: The Fire and Ashes of Heinrich Böll“ | ab heute im Handel

Es ist diese Stimme, die den Zuhörer sofort anspringt, in ihren Bann zieht und schließlich hemmungslos überwältigt. Eine raue Urgewalt, erfüllt von schonungsloser Reinheit, man entkommt diesem Organ nicht, wenn man sich einmal darauf eingelassen hat. Eric Andersen ist der Besitzer dieser ganz besonderen vokalen Gabe, die an das Genial-Grummelnde von Bob Dylan erinnert, an das Brüchig-Beeindruckende von Leonard Cohen, an das Puristisch-Phänomenale von Woody Guthrie.

Eric Andersen, geboren 1943 in Pittsburgh, darf sich als Heroen einer lange vergangen geglaubten Ära sehen, die freilich niemals weg war und die schon gar nicht irgendwann untergehen wird. Wir sprechen vom Zeitalter des Folk, die ihren Höhepunkt in den 1960-ern hatte, mit Speerspitzen wie Phil Ochs, Joan Baez, Pete Seeger oder eben Grantler Dylan. Eigentlich aber sprechen wir von der Kaste der singenden, gerne nur von einer Gitarre unterstützten Geschichtenerzähler, Troubadoure fürderhin, also Kreative, die der Menschheit Sinn und Unsinn ihres Daseins erklären.

Die Vita von Eric Andersen beweist, dass ihm sein Schicksal geradezu aufgedrängt und offensichtlich in die Wiege gelegt wurde: Er begann mit acht Jahren, die Gitarre zu bearbeiten, brachte sich selbst das Klavierspielen bei. Als Teenager verschlang er die damals revolutionären Bücher der „Beat Generation”-Autoren wie Jack Kerouac oder Allen Ginsberg, parallel dazu die Werke etwa der Romantic Noir-Ikonen Charles Baudelaire und Arthur Rimbaud. „Solche Literaten waren und sind meine Fixsterne”, gibt Andersen unumwunden zu, „ihre Einflüsse haben dafür gesorgt, dass ich selbst mit dem Schreiben von Texten und Liedern begann. Sie haben letztlich dafür gesorgt, dass aus mir ein „unsteter Geist” wurde”, lacht der „ewige Kämpfer für individuelle Freiheit und echte Demokratie”, wie Andersen sich selbst bezeichnet.

Kein Wunder bei einem solchen Anspruch, das eigene Dasein betreffend, dass Eric Andersen es nur zwei Jahre an einem College in New York aushielt. Also Daumen raus und nach San Francisco getrampt, gerade mal 20, „ich hatte nichts zu verlieren außer meinen Träumen von einer besseren Welt”, feixt Andersen. Im Reisegepäck waren in erster Linie eine Klampfe, Bücher und ein Packen selbst komponierter Stücke, mit denen er versuchte, das hippe Publikum der an der US-Westküste ansässigen Folk-Szene live in den Bann zu ziehen.Dort wurde Andersen von Folk-Ikone Tom Paxton entdeckt. Der überredete seinen Schützling 1963 dazu, ins unter Folk-Freaks in jener Zeit angesagte New Yorker Viertel Greenwich Village umzusiedeln. „Ich tat wie mir geraten”, erinnert sich Andersen, „und bereits nach wenigen Auftritten in kleinen, feinen Clubs bekam ich begeisterte Kritiken von renommierten Magazinen, gleich darauf einen Plattenvertrag bei einem etablierten Label.”
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Fortan und bis heute nahm Eric Andersen jede Menge Alben für die verschiedensten Firmen auf, wurde eine etablierte Größe weit über die Folk-Szene hinaus. „Ich mischte nie in der obersten Liga mit”, konstatiert Andersen, „und um ehrlich zu sein, bin ich ganz froh über diesen Umstand. Denn dadurch hatte und habe ich die totale Freiheit, exakt das zu tun, was mir künstlerisch vorschwebt. Ich bin respektiert von einer Handvoll Leute, man lässt mich in Ruhe arbeiten und vollkommen dabei gewähren, meine Visionen umzusetzen.” Denn, so Andersen weiter: „Den Chefs in der Musik-Branche ging es immer auch darum, Geld mit der Arbeit der Kreativen zu verdienen. Das ist legitim. Heute aber ist dieser Aspekt das einzige Ziel. Was tödlich ist für die Kreativität von Künstlern. Zum Glück bin ich zu alt, als dass ich mich um diesen Unsinn kümmern müsste.”

Stattdessen zieht Andersen weiterhin unbeirrt seine Projekte durch. Und findet dank seines überwältigenden, einzigartigen Talents jedes Mal aufs Neue Menschen, die ihn dabei unterstützen, diese Vorstellung in die Realität umzusetzen. „Aktuell beschäftige ich mich mit dem Werk des exzentrisch-exzessiven britischen Dichters Lord Byron”, erzählt Andersen freudig erregt. „Auf ihn kam ich während einer UK-Tour im Frühjahr 2014, die mich auch nach London führte. Ich hatte ein paar Tage frei und machte ein paar Führungen mit. Eine davon brachte mich nach Newstead Abbey, ein Herrensitz in Nottinghamshire, ursprünglich war dort ein Augustiner-Orden beheimatet, ehe das Gebäude von Lord Byron geerbt wurde. Der schmiss die Katholiken kurzerhand raus und gründete seine eigene Kirche. Was für ein Chaos! Solche Geschichten faszinieren mich seit jeher.

Ein Reiseführer erzählte mir jedenfalls, das Dach von Newstead Abbey sei einsturzgefährdet. Da mir der Ort sehr gut gefiel und mich magisch anzog, haute ich meinen Manager an, ob man nicht ein Benefiz-Konzert zum Erhalt des Dachs organisieren könnte. Er tat es, hatte Erfolg bei seinen Bemühungen. So kam es am 3. September 2015 zum „1. Robin Hood-Festival”. Gleichzeitig wurde endgültig die Lunte gelegt für mein Lord Byron-Konzeptalbum.”

Andersen setzte sich bereits vorher und insgesamt mehr als ein Jahr mit dem Werk des für seine Ära revolutionären Dichters auseinander, vor allem mit den sehr speziellen rhythmischen Schemen des von der Romantik wie vom Mystischen durchdrungenen Werk des Poeten. Heraus gekommen ist ein mehr als originelles Album, das bislang den Arbeitstitel „Byron” trägt. „Ich habe lediglich zwei Lieder selbst komponiert und die beschäftigen sich mit der Vita von Byron”, erklärt Andersen, „die anderen zwölf sind Verse des Meisters, denen ich einen spartanischen, dadurch eindringlichen Umhang übergestülpt habe. Ich habe sämtliche der neuen Lieder live aufgenommen, das steigert hoffentlich die Authentizität.”

Tatsächlich ist „Byron” ein verwegener, zeitloser Ritt durch ein mal geheimnisvoll wirkendes, mal knorriges Land der ungewöhnlichen Poesie geworden. „Mein Hauptanliegen ist es ja, einer möglichst jungen Generation zum Teil längst vergessene Literaten und deren Arbeiten zugänglich zu machen. 2014 hatte ich mir zu diesem Zweck Albert Camus vorgeknöpft, jetzt Lord Byron. Und als nächstes werde ich mir Heinrich Böll zur Brust nehmen, für den „freiheitliche Demokratie” alles war. Mal ehrlich: Was kann man den Jungen für andere Leitbilder als solche Leuchttürme der Literatur ans Herz legen? Na eben.”

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Quelle: Rough Trade | Promoteam Schmitt & Rauch