Letztes Jahr setzten sich Dolores O’Riordan, Noel Hogan, Mike Hogan und Fergal Lawler – die vier Mitglieder der Cranberries – zusammen, um die 25th Anniversary Box ihres Debütalbums, des Indie-Klassikers „Everybody Else Is Doing It, So Why Can’t We?“, zu planen. Nach dem viel zu frühen Tod von Dolores O’Riordan im Januar 2018 entschied die Band, das Projekt durchzuziehen und so erscheint die Jubiläumsbox und weitere Formate (2CD, CD oder Doppel-LP) am 19. Oktober bei UMG. Nach seiner Veröffentlichung am 12. März 1993 ging das Album in Irland und Großbritannien auf Platz 1 der Albumcharts und verkaufte weltweit über sechs Millionen Exemplare. Damals erklärte Dolores den Erfolg der Cranberries unter anderem damit, dass die Songs “auf meinem eigenen Leben und Erfahrungen als Mensch basieren und darauf, wie Menschen miteinander umgehen.”
Rückblende zum Sommer des Jahres 1985, als sich aus dem gemeinsamen Interesse an Breakdance zwischen drei Jungs – Fergal (14), Noel (13) und dessen jüngerem Bruder Mike (12) – eine lebenslange Freundschaft entwickelte. Fergal fuhr die kurze Strecke von Parteen im irischen County Clare nach Moyross in Limerick, wo Noel und Mike lebten, damit sie an ihren Moves feilen konnten. Nach einer Zeit ließ ihre Begeisterung nach und sie begannen, sich für Mainstream Pop-Künstler wie Nik Kershaw und Michael Jackson zu interessieren und wie viele andere Teenager vor ihnen aufmerksam zu verfolgen, was im Radio gespielt wurde.
Noel erinnert sich, dass es die „Staring At The Sea“ Singles-Collection von The Cure war, die seine musikalische Welt auf den Kopf stellte. Er teilte seine neue Leidenschaft mit Mike und Fergal und gemeinsam entdeckten sie weitere Bands wie Siouxsie and the Banshees, Echo and the Bunnymen, The Clash, New Order und Joy Division. Rückblickend betont Noel, dass “all diese Wege unweigerlich zu The Smiths führen mussten, die später eine große Rolle in unserem Leben spielten.”
Neben der großen, weiten Welt des Indie, wurden Noel, Mike und Fergal auch auf die wachsende Musikszene in Irland und speziell in Limerick aufmerksam. Ein Freund von Fergal war DJ bei einem der Piratensender der Stadt und er lieh ihm Aufnahmen von irischen und lokalen Bands. Piratensender waren nicht durch dieselben Richtlinien eingeschränkt wie der staatliche Rundfunk und so konnte man in den 1980ern hier tolle Indiebands entdecken, die sonst nirgends gespielt wurden. Neben den weltweit erfolgreichen U2 und Sinead O’Connor erfuhr die Gruppe hier von der Existenz lokaler Bands wie Private World, They Do It With Mirrors, Up The Downstairs, The Hitchers und A Touch of Oliver. Und so war es gar keine abwegige Idee, selbst in einer Band zu spielen und in die Fußstapfen vieler anderer hoffnungsvoller zukünftiger Musiker in postindustriellen Städten wie Manchester, Liverpool oder Birmingham zu treten, wo Musik und Kreativität einen Ausweg aus der um sich greifenden Jugendarbeitslosigkeit boten.
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Im August 1989 lernte die junge Band Niall Quinn kennen, der als Sänger einstieg, und sie nannten sich Cranberry Saw Us. Im März 1990 verließ Niall die Band schon wieder, um sich auf sein anderes Projekt, die Hitchers, zu konzentrieren. Die Trennung verlief komplett einvernehmlich und er war maßgeblich daran beteiligt, die Band mit Dolores zusammenzubringen. Er organisierte eine Audition, die in den Xeric Studios, einem alten Industriegebäude mitten in Limerick, stattfand. Als Dolores ankam, waren Noel, Mike, Fergal und einige ihrer Freunde dort. Dolores hatte ein Casio-Keyboard unter dem Arm und im Gegensatz zu den meisten Anwesenden, die mit Doc Martens, schwarzen Klamotten und wilden Frisuren angetreten waren, trug sie einen rosafarbenen Trainingsanzug und kurze Haare im Wet-Look und zog in dem kleinen Raum alle Aufmerksamkeit auf sich. Dolores erinnert sich an das erste Treffen: “Ich ging nach oben und da waren ungefähr 14 halbwüchsige Jungs – der Raum war voller Hormone und die Anspannung war unerträglich. Ich sagte: ‚Bevor wir anfangen – gehen bitte alle, die nicht in der Band sind, raus‘.“ Noel beschreibt Dolores an dem Abend als „leise wie eine Maus“. Und Mike erinnert sich: „Sie war damals introvertiert … aber sie stellte sich trotzdem hin und hatte den Mut, sich zu präsentieren.“ Alle waren sofort begeistert von ihrer Stimme. „Sie hat uns sofort umgehauen“, erzählt Mike. „Ihre Stimme hatte etwas ganz Besonderes.“ Dolores fand ihrerseits: „Mir gefiel, was ich hörte: Sie waren nett und als Band sehr tight. Es war eine nette Band, aber sie brauchten einen Sänger oder Sängerin und sie brauchten einen Plan.“ Eines der Instrumentals, das Cranberry Saw Us an dem Abend spielten, wurde bald als „Linger“ bekannt – ein relativ einfacher Song, der die Band innerhalb von nur zwei Jahren zu Weltstars machte.
1991 war ein wichtiges Jahr für die Cranberries. Am 18. April trat die Band in ihrer Heimatstadt im Rahmen der von der University of Limerick veranstalteten Rag Week vor 1400 Studenten – und 32 A&R-Leuten, von denen die meisten aus London eingeflogen waren – auf. Unter anderem war auch der legendäre Plattenproduzent Denny Cordell (1943-1995) anwesend, der zu diesem Zeitpunkt als A&R für Island Records tätig war. Cordell bot den Cranberries zwar nicht das dickste Bündel Geld an, aber er versprach ihnen, sich um sie zu kümmern und ihnen den Raum zu lassen, sich in ihrer eigenen Geschwindigkeit zu entwickeln. Offenbar glaubte er fest an ihr Potential. Ungefähr zur selben Zeit änderte die Band ihren Namen in The Cranberries.
1992 engagierten The Cranberries einen neuen Manager in Gestalt des legendären Geoff Travis von Rough Trade und begannen, ihr Debütalbum mit den Produzenten Stephen Street aufzunehmen. Street hatte eine Menge Erfahrung als Toningenieur und als Produzent (The Smiths, Morrissey, Blur) und war auch als Co-Songwriter an Morrisseys erstem Soloalbum „Viva Hate“ (1988) beteiligt. Für die Cranberries ging jedenfalls ein Traum in Erfüllung, als sie mit dem Produzenten von ‘Strangeways Here We Come’ ins Studio gingen.
Als Texterin der Band, steckte Dolores auch hinter allen Albumtiteln. „Everybody Else Is Doing It, So Why Can’t We?“ geht auf ihren hartnäckigen Erfolgswillen zurück. “Elvis war nicht immer Elvis”, sagt sie. “Er wurde nicht als Elvis Presley geboren. Er war einfach ein Mensch, der irgendwo zur Welt kam, von nichts besonders viel hatte, und dann wurde er Elvis. Auch Michael Jackson wurde irgendwo geboren und wurde später zu Michael Jackson, und so weiter und so fort. Und ich dachte, wir sind auch einfach nur irgendwo geboren, warum können wir nicht genauso erfolgreich sein? Ich fand durchaus, dass wir das könnten, aber die meisten Leute in unserem Umfeld erklärten uns für verrückt und meinten, dass wir niemals Geld mit unserer Musik verdienen würden und lieber Coverversionen spielen sollten.” Es ist ein einfacher, aber cleverer Titel, der seine eigene Frage schon beantwortet, weil das ‚Warum nicht?‘ schon zwischen den Zeilen steht. Warum sollte eine Band aus einer kleinen Stadt im Südwesten Irlands nicht einen Plattenvertrag bekommen, ein großartiges Album machen und die Welt im Sturm erobern?
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Und tatsächlich. Weihnachten 1993 hatte die Band eine umfangreiche Tour durch Europa und die Vereinigten Staaten hinter sich und ihre Rückkehr nach Irland glich einem Triumphzug. Ihr Debütalbum hatte in den USA mittlerweile schon mehr als 800 000 Exemplare verkauft und „Linger“ hatte Platz 8 der Billboard Charts erreicht. In Irland und Großbritannien schaffte es das Album an die Spitze der Charts und in den USA auf Platz 18 der Billboard Charts. Später wurde es in den USA, Australien, Neuseeland und Großbritannien mit Platin ausgezeichnet.
Die andauernde Popularität von „Everybody Else…“ und sein phänomenaler Erfolg sollte nicht nur anhand der 6 Mio. Verkäufe (5 Mio. davon in den USA) festgemacht werden, sondern an der Qualität des Materials. Auch wenn das Album von den Smiths, The Cure und New Order beeinflusst war, hatte es doch einen ganz eigenen Sound und zeigte mal wieder, dass die beste Musik oft durch die richtige Mischung entsteht. Genauso wie der junge Johnny Marr von Rory Gallagher und Thin Lizzy beeinflusst war, waren The Cranberries wiederum von The Smiths beeinflusst und entwickelten aus dem Gehörten ihren eigenen Sound.
Das Zusammenspiel von Noel und Dolores als Co-Songwriter, dazu Noels helles Gitarrenspiel über einem von Mike und Fergal gelegten, massiven Fundament und Stephen Streets Talent, Räume zu schaffen – all das trug zum unverwechselbaren Sound des Albums bei. Dolores’ einzigartige Mischung aus gälischen und Indie-Gesangseinflüssen ergänzte sich perfekt mit ihrer Fähigkeit, mit ihren Texten die Frustration der späten Jugendjahre auszudrücken, die die Songs zu einer so großen Projektionsfläche machte. 25 Jahre nach seiner Veröffentlichung gilt dieses mit viel Fingerspitzengefühl aufgenommene Debüt als eines der ultimativen Indie-Alben aller Zeiten.
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Quelle: Universal Music | Promoteam Schmitt & Rauch