Um es gleich vorweg zu sagen: Den Jungs von Badflower ist es mehr oder weniger egal, was man von ihnen hält. Dieser Band ist es auch schnurz, ob man ihren Sound überhaupt kapiert – schließlich ist das ultrazeitgenössische Rock-Update, für das ihr Name steht, so weit vorne, so weit draußen, dass sie so oder so nicht in die Schublade passen würden, in die man sie womöglich mit irgendeinem anderen aktuellen Act zu stecken versucht. Und dann ist ihnen auch egal, ob einem die Inhalte und Aussagen ihrer Songs zusagen oder nicht, denn sie finden nun mal, dass es wichtig ist, was sie da zum Ausdruck bringen. Auch wenn es natürlich manchmal unangenehm wird, ja sogar wehtut.
Kann schon sein, dass eine derartige Haltung etwas unangebracht wirkt, wenn man bedenkt, dass sie ja noch nicht mal ein Debütalbum veröffentlicht haben. Immerhin leben wir in einer Zeit, in der Bands größtenteils von ihren Auftritten leben; die Fans sind somit vielleicht wichtiger denn je, schließlich sollen sie doch die Tickets kaufen und es den Musikern überhaupt erst ermöglichen, weiterzumachen, weiter zu wachsen. Nur sind Badflower aus Los Angeles auch keine kompletten Anfänger; die vierköpfige Band hat seit ihrer Gründung im Jahr 2013 durchaus schon einiges bewegt und einiges erreicht. Sänger Josh Katz, Gitarrist Joey Morrow, Schlagzeuger Anthony Sonetti und Bassist Alex Espiritu waren nicht nur in den USA quasi nonstop auf Tour, sondern auch in anderen Ecken der Welt viel unterwegs, weshalb sie von ihren Fans vor allem als unfassbar gute Live-Band gefeiert werden. Wobei: Lob von Institutionen wie Billboard, Forbes und Consequence Of Sound gab’s obendrein – auch ohne offizielles Debütalbum.
Die jahrelangen Tour-Abstecher und -erlebnisse hätten ihnen außerdem erst die nötige Lebenserfahrung beschert, um nun dieses Debüt schreiben zu können, das übrigens auf den Titel „OK, I’M SICK“ hört. Nur hatten diese Erfahrungen durchaus auch ihre Schattenseiten, insbesondere für den Frontmann der Band: Josh Katz leidet nämlich unter Angst- und Panikstörungen. Nicht die einfachste Voraussetzung für seinen „Job“, aber er hat in den letzten Jahren offensichtlich gelernt, wie er damit umzugehen hat: „Einmal bin ich mitten im Song von der Bühne gerannt und brauchte einfach eine Pause… danach war ich extrem verwirrt“, erinnert er sich. „Ich konnte nicht sagen, ob ich mich nun besser übergeben oder einfach nur in die Ecke setzen sollte. Normalerweise verkrampft sich mein gesamter Körper, von oben bis unten, und dann ist es hoffentlich kurz danach auch schon wieder vorbei. Ich kann dann kaum stehen, kaum noch einen Ton herausbekommen. Es sind einfach so viele Gefühle gleichzeitig, die da angerauscht kommen.“
Auch der Song „Ghost“ handelt von seiner Krankheit – jenes Stück also, das dafür gesorgt hat, dass schlagartig sehr viel mehr Menschen mit ihrem Bandnamen vertraut waren. Direkt nach dem Ende einer Tour hatte Katz dermaßen die Nase voll von allem, was er Abend für Abend durchmachen musste, um es überhaupt auf die Bühne zu schaffen, dass er sich ernsthaft fragte, ob er überhaupt weitermachen sollte als Musiker. „Wenn’s mir doch jeden Abend so dreckig geht, warum noch weitermachen?“, fragte er sich damals. Und dann kletterte der Song in den US-Charts rasant nach oben, und natürlich warf Katz an so einem Punkt nicht das Handtuch – Badflower waren gerettet.
Trotz des überraschenden Erfolgs sah die Band selbst den Song „Ghost“ eher als Albumtrack, nicht so sehr als Single. Was einleuchtet, wenn man bedenkt, wie bildhaft Katz darin seine Abgründe, seine Selbstmordfantasien darlegt: „This life is overwhelming and I’m ready for the next one“, heißt es an einer Stelle. An diesem Punkt war Badflower doch nicht so ganz egal, wie ihre Messages auf die Leute wirkten; sie hatten Angst, dass man den Song als selbstmordverherrlichend auslegen und meinen könnte, sie würden ihre persönlichen Probleme ausschlachten, um daraus irgendeinen Profit zu schlagen. „Aber die Leute haben’s sofort gecheckt! Da erst wurde uns klar, wie viele Menschen mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben – mit Depression, mit Panikstörungen, mit Ängsten“, sagt Katz. „Man hört ja auch andauernd davon; jeden Tag wird ein neues Medikament angepriesen, weil so viele Leute diese Probleme haben… nur darüber reden wollen sie dann doch alle eher nicht so gern.“
Während „Ghost“ tatsächlich etwas Erschütterndes hat, verhandeln Badflower im Verlauf von „OK, I’M SICK“ durchaus auch andere, weniger drastische Themen. Der Eröffnungssong „x ANA x“, der zum Teil von der Jimmy Iovine/Dr. Dre-Doku „The Defiant Ones“ inspiriert ist, geht zwar in eine ähnliche Richtung, aber der Grundton ist hier fast schon zynisch, denn es ist eine Ode an die Vorzüge von Xanax – unfassbar selbstkritisch und voller Meta-Momente (an einer Stelle fragt ein ausgelassener Katz: „Hey, wanna see what happens when I mix Xanax, blow, and a MacBook Pro?“ Krasse Mischung!) Auch der sich stetig verändernde Klangteppich, mal richtig schnell, mal stotternd und kurz vor dem Kollaps, dann eher klaustrophobische Klangschichtung, trägt zur ziemlich durchgeknallten Stimmung bei…
„Ja, der Song soll sich insgesamt wie so eine Panikattacke anfühlen: unerklärliches Chaos, das sich in einem drinnen ausbreitet“, holt Katz aus. „Wir schrieben diesen Song zusammen, und dann nahm ich die erste Version davon mit in unser Haus in der Wüste, wo ich die ganze Nacht durchmachte – und alles wie ein verrückter Professor wieder kaputtmachte, in seine Einzelteile zerlegte. Ich hatte nun mal das Gefühl, dass es noch nicht manisch genug klang. Der Song macht sich lustig über diese Ängste, aber er nimmt sich auch selbst auf die Schippe.“
Seelische und psychische Gesundheit ist jedoch, wie gesagt, längst nicht das einzige Thema, das Badflower auf ihrem Debütalbum ansprechen: „Murder Games“ z.B. geht in eine ganz andere Richtung – und rein klanglich ist es das härteste, eindringlichste Stück, metallisch, schneidend, mit Gitarrensounds, die durch Mark und Bein gehen. Das Thema: Veganismus – denn Katz lebt seit vier Jahren vegan. Und natürlich redet er auch hier Klartext. „Das wird bestimmt den einen oder anderen richtig verprellen“, gibt er zu, tut es jedoch mit einem Achselzucken ab. „Wir finden halt, dass es wichtig ist, dieses Thema anzusprechen, also tun wir das auch. Es geht ja letztlich darum, eine Diskussion anzustoßen; die Leute sollen das Thema aus einem neuen Blickwinkel betrachten und einfach nicht so passiv sein… Schließlich gibt es durchaus Dinge in der Gesellschaft, in die man hineingeboren wurde, die zwar schon immer so waren, die deshalb aber noch längst nicht richtig sein müssen.“
Kontrovers diskutiert werden dürfte auch der Song „Die“: Einerseits knallharte Abrechnung mit Trumps Haltung zu Umweltfragen (wobei Morrow betont, dass der US-Präsident nicht der einzige ist, gegen den sich das Stück richtet), brüllt Katz den Songtitel schließlich dermaßen krass ins Mikrofon, dass man glauben könnte, sein eigenes Leben hinge davon ab. Allerdings ist es kein mörderischer Imperativ, der sich hinter diesen drei Buchstaben versteckt: „Nein, das soll nicht ‘Los, lass dich umlegen’ oder ‘Ich werde dich umlegen’ bedeuten“, stellt er klar. „Stattdessen geht es um die vielen, vielen Menschen, die dermaßen festgefahren sind in ihrer Weltsicht, die so viel Angst vor Veränderungen haben, Angst vor der Evolution, ja, die wohl einfach alt werden und diese Welt verlassen müssen, damit die nächste Generation den Wandel vollziehen und etwas Neues und Gutes aufbauen kann.“ Sprich: Was auf den ersten Blick wie etwas Vernichtendes wirkt, ist genau genommen ein Statement für Veränderung, Wandel und Fortschritt. „Wir müssen uns doch vorwärtsbewegen, dürfen nicht stagnieren“, findet auch Espiritu.
Zu weiteren Themen, die ihre Songs umkreisen, zählen u.a. Missbrauch („Daddy“), Depression trotz oberflächlichem Erfolg („24“) oder auch Stalking in den sozialen Netzwerken („Girlfriend“). Letzterer Song verbindet grandios Traditionelles mit dem digitalen Hier und Jetzt, wenn sie von Instagram-Filtern und Web-Content singen, dazu musikalisch aber einen klassisch-druckvollen Bluesrock-Teppich ausrollen. „Darüber wollten wir so oder so schon immer schreiben“, holt Katz aus, „und das war einfach das perfekte, richtig schön schrullige Blues-Riff dafür. Ich glaube, wir haben da einen ziemlich einzigartigen Song aufgenommen.“
Dass Badflower einen Hang zu großen, komplexen gesellschaftlichen Themen haben, bedeutet nicht, dass sie deshalb weniger gewichtige, eher alltägliche Dinge ausklammern würden: „Promise Me“ mag das einzige richtige Liebeslied des Albums sein – nur schwingt natürlich auch hier jenes düstere Element mit, das ihren ganzen Ansatz auszeichnet. „Das ist der Song, auf den ich persönlich am stolzesten bin“, sagt Espiritu. „Schließlich haben wir so viel davon geredet, dass wir nur das machen, was wir wirklich machen wollen, und darüber, was den Geist des Rock & Roll eigentlich ausmacht – und schau dir dann so einen Song wie ‘Promise Me’ an: ein ganz anderer, wunderschöner und romantischer Lovesong, den wir trotzdem komplett umkrempeln und ihm unseren Stempel aufdrücken können.“ Besagter Stempel besteht, wie Katz weiter ausführt, letztlich darin, dass einer der Protagonisten des Songs schließlich den Löffel abgeben muss…
Produziert von Noah Shain (Atreyu, Dead Sara), begegnet man auf „OK, I’M SICK“ einer Band, die kein Blatt vor den Mund nimmt und diese vielen Diskurse und Gefühlslagen zu einem ultrazeitgenössischen Rocksound verschnürt: Tatsächlich war es ihr Anspruch, so „jetztzeitig wie möglich“ zu klingen auf dem Erstling. Und auch die Gefahr, dass das Resultat in ein paar Jahren womöglich etwas überholt und veraltet wirken könnte, tun sie mit einem Achselzucken ab. „Zeitlose Musik – das ist etwas Tolles, aber wenn alle nur noch versuchen, zeitlos zu klingen, entsteht dabei etwas sehr Vages, nämlich absoluter Nullachtfünfzehn-Sound“, findet Katz. „Deshalb klingt alles gleich, und ehrlich gesagt habe ich das Gefühl, dass es gar nicht so viele Rockbands gibt, die überhaupt versuchen, etwas Zeitgenössisches zu machen. Wir hingegen haben es uns von Anfang an zum Ziel gemacht, Stücke aufzunehmen, die für diesen Moment, für unsere Generation gemacht sind.“
Inzwischen dürfte klar geworden sein, dass Badflower aus L.A. keine Band ist, die sich selbst irgendwelche Grenzen setzt. „Wir selbst bezeichnen uns ja nicht mal als Rockband“, sagt Katz abschließend. „Wenn wir kommende Woche Lust darauf haben sollten, ein Rap-Album aufzunehmen, dann würden wir wohl auch das in Angriff nehmen. Wartet’s mal ab. Uns doch egal… wir machen halt das, worauf wir Lust haben. Genau das war nämlich früher mal der Geist des Rock & Roll, nur ist der irgendwie zwischenzeitlich abhanden gekommen.“ Man kann sich also auf eine Sache verlassen: Badflower werden alles dafür tun, um genau diesen Spirit wiederzubeleben. Und ihnen ist vollkommen egal, was andere davon halten.
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Quelle: Big Machine Label Group