Wer Fjarill und ihrer Musik begegnet, wird wie an einem seidenen Faden an einen wundersamen Ort gezogen. Alles wird in ihren Liedern zum Klingen und Schwingen gebracht. Tiefe und Traurigkeit. Suche und Hoffnung. Geheimnisse und Versponnenes. Witz und Weltoffenheit. Überschwang und Liebe. Eine äußerst zeitgemäße Musik. Gerade weil sie aus der Zeit gefallen scheint. Musik zum Durchatmen. Um sich langsam und fein mit der Welt zu verbinden.
Die schwedische Pianistin und Sängerin Aino Löwenmark und die südafrikanische Violinistin Hanmari Spiegel trafen sich 2004 in Hamburg, um fortan die Menschen mit ihrem ganz eigenen Sound zwischen Folk, Pop, Jazz und Klassik zu beglücken. Zwei kraftvoll leuchtende und zart driftende Stimmen, die mit verschiedenen Sprachen – auf Englisch, Deutsch, Schwedisch und Afrikaans – eine universelle Wärme erzeugen. Eine poetische Grenzüberschreitung.
Wenn mit „Midsommar“ das nun mehr achte Album von Fjarill erscheint, zeigt das die stete Magie, mit der dieses herzgewinnende Singer-Songwriter-Duo sein Publikum einzunehmen versteht. Denn der künstlerische Erfolg der beiden Musikerinnen ist ein im besten Sinne nachhaltiger: Jahr um Jahr und Konzert für Konzert erspielen und ersingen sich Aino und Hanmari eine wachsende Gemeinde an Fans. Sei es in Clubs oder in Kirchen, vor der schwedischen Königin Silvia oder vor Kindern in südafrikanischen Townships, sei es inmitten von Passanten eines Hamburger Einkaufszentrums oder bald in der Elbphilharmonie, dem neuen Wahrzeichen ihrer Wahlheimat – mit ihrer empathischen und euphorisierenden Musik berührt Fjarill Seele um Seele.
Auf „Midsommar“ reist Aino tief hinein in das Wesen ihrer schwedischen Heimat. Gemeinsam mit Hanmari lässt sie uns hinter die Bullerbü-Fassade schauen und entführt uns in spannungsgeladene Geschichten, die den komplexen Charakter des Landes hörbar machen. Das Album besteht aus Eigenkompositionen, aus vertonten Gedichten des Literaturnobelpreisträgers Pär Lagerkvist und aus schwedischen Volksliedern, die Fjarill mit ruhiger Intensität neu arrangiert hat.
„Diese alten Lieder haben eine mystische Qualität. Als Nicht-Schwedin hat es mich überrascht, dass die Stücke nicht ausschließlich hüpfend und fröhlich sind“, sagt Hanmari. Häufig spiegelt sich in den seit Jahrhunderten überlieferten Texten die Sehnsucht nach einem besseren Leben. In dem Lied „Kristallen“ etwa erscheint diese Wunschvorstellung in Gestalt einer schönen Frau. Und Fjarill haucht der traditionellen Lyrik mit flirrendem Geigenspiel, reduziertem Piano und transparentem Gesang neuen Geist ein.
Das Album erzählt von der Dramatik der Mittsommerzeit, wie Aino sie seit ihrer Kindheit wahrnimmt. Von den Erwartungen, die in der klaren Luft liegen. Und von dem besonderen Licht in Dalarna, im Herzen Schwedens. „Die Sonne geht erst eine halbe Stunde vor Mitternacht unter. Aber es ist immer noch nicht ganz dunkel. Diese helle blaue Dämmerung setzt irgendetwas in mir frei. Nachts gehe ich spazieren im Wald, es duftet nach Moos und Wildblumen. Und in den Tälern sammelt sich der Nebel.“ Eine Atmosphäre, aus der Geschöpfe aufsteigen, wie sie bereits Ainos Großmutter kannte – nicht nur zarte Feen und vorwitzige Trolle, sondern auch Gestalten, die unsere innersten Ängste anfachen. „Es existiert der Sage nach zum Beispiel eine Waldnymphe mit einem schwarzen Loch im Rücken, die die Männer ins Verderben führt“, sagt Aino.
Dass die neuen Lieder im eigenen Walden Studio entstanden sind, im satten Grün am Hamburger Stadtrand mit mächtigen Bäumen zum Greifen nah, erscheint auf einmal nicht mehr als Zufall, sondern unabdingbar. Unterm hohen Holzdach haben die Lieder Raum zum Atmen. „Unsere Musik entsteht auf einer intuitiven Ebene. Wir analysieren kaum, sondern greifen vielmehr die Melodien der jeweils anderen auf“, erklärt Hanmari, die auf „Midsommar“ erstmals auch mit der E-Gitarre Akzente setzt.
Das wechselseitige Vertrauen mündet bei Fjarill in eine Energie, die sich unmittelbar auf den Hörer überträgt. Mit dieser Dynamik arbeiten die Musikerinnen auch, wenn sie im Walden Studio zu ihren Singer-Songwriter-Workshops laden und dabei Stimme, Atmung sowie Achtsamkeit üben. „Wir improvisieren viel. Uns ist es wichtig, dass es in der Musik nicht sofort ein Richtig oder Falsch gibt. Es geht darum, nicht so fest zu sein, sondern in Bewegung“, sagt Aino. Eine Leichtigkeit und Leidenschaft, die das Wirken der beiden Frauen prägt.
Aino und Hanmari sind so starke Künstlerpersönlichkeiten, da sie all ihre Erfahrungen in ihre Lieder einbringen. Sie sind Freundinnen, Mütter, Liebende und Lebende, die uns mit ihren Songs daran erinnern, unsere Tage nicht einfach vorbeiziehen zu lassen. Besonders eindringlich zum Ausdruck kommt das in der melancholisch schwebenden Nummer „Lite efter du är död då ska liljor blomma“ nach einem Gedicht von Pär Lagerkvist. „Ein Mann wagt einer Frau erst seine Liebe zu gestehen, als diese beerdigt wird“, erläutert Aino die tragische Geschichte, die zugleich ein Auftrag an uns ist, nicht bloß abzuwarten, sondern zu handeln.
Beschwingter verdichtet sich diese pragmatische Philosophie in dem sachte tanzenden Titelstück „Midsommar“. Der Brauch des Blumenbindens zur Mittsommernacht gerät da zum Sinnbild, die gesamte Vielfalt unseres Lebens zu einem großen Ganzen zu flechten. „Allein durch Ideen entsteht kein Kranz“, sagt Hanmari, „sondern erst durch das tatsächliche Tun.“ Ein Glück, dass Hanmari und Aino derart aktiv sind. Und dass Fjarill uns an ihrem Schaffen teilhaben lässt.
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Quelle: Butter & Fly / Indigo | ADD ON MUSIC