Wer sich längst festgelegt hat, was dieser Oerding für Musik macht, sollte Konturen mit Vorsicht genießen. Ebenfalls gewarnt seien alle, die nicht auf Überraschungen stehen. Der Rest wird sich freuen: Johannes Oerdings sechstes Studio-Album ist ein Fest aus lässigem Pop, knackigem Elektro, satten Streichern, reduziertem Beat, NDW-Übermut und orchestralem Filmmusik-Pathos. Mit scharfkantigen Texten und Themen, die man so von ihm noch nicht gehört hat, schleift diese selbstbewusste Platte gewaltig am Profil eines Musikers, der noch jede Menge Asse im Ärmel hat.
Dabei ist das Blatt des 37-Jährigen schon jetzt überzeugend: Alle seine Alben melden Goldstatus – die beiden letzten sogar Platin – der Titeltrack von „Kreise“ ist die bereits zweite vergoldete Single und seine Auftritte in der neuesten Edition des VOX-Quotengaranten „Sing meinen Song – das Tauschkonzert“ kann man ganz bescheiden einen vollen Erfolg nennen. Gleichzeitig spielt er nach wie vor mindestens 80 Shows im Jahr und folgt regelmäßig Live-Einladungen von Maffay, Lindenberg und anderen etablierten Kollegen. Das Geheimnis? Bei aller Experimentierfreude auf Konturen hat sich der Mensch Oerding kein Stück verändert: „Die Anfragen, die nach ‚Sing meinen Song’ kamen, habe ich fast alle abgesagt. Ich will wieder zur Basis und zwei, zweieinhalb Jahre auf Tour gehen, das ist mir wichtiger.“ Er lässt sich eben einfach nicht davon ablenken, was Musikmachen für ihn bedeutet: Lieder schreiben und auf der Bühne stehen.
Die neuen Songs allerdings dokumentieren einen Reifeprozess, zusätzlich motiviert durch die Atempause in Südafrika, bei der er auch seine Wurzeln wiederentdeckt hat. „Ich langweile mich ungern und wollte wieder mehr auf meine innere Stimme hören, mich noch mehr trauen. Auf Konturen sind deswegen auch mehr politische Songs, die Fragen stellen, die mir einfach unter den Nägeln brennen. Was aktuell auf der Welt passiert, hat für uns alle Konsequenzen, deswegen hat es für mich in diesem Fall nicht funktioniert, einfach dreizehn Popsongs zu schreiben, die nur mich und mein Leben betreffen. Es gibt in meinen Augen Dinge, die jetzt dringend laut ausgesprochen werden müssen und die Songs richten den Blick über den Tellerrand – auf mein ganzes Umfeld, unsere Gesellschaft. Ich sage immer ‚ich bin einer von uns’ und Konturen verkörpert das total. Ich habe mir extreme Mühe gegeben, damit jedes Wort sitzt. Es handelt von Themen, über die ich noch nie oder nicht auf diese Weise gesungen habe.“
Konturen ist vielleicht die erste Platte von Johannes Oerding, die für ihn nicht einfach ein guter Grund ist, auf Tour zu gehen. Er will, dass diese dreizehn Songs wirklich gehört werden. Dass nicht nur er sich auf Wenn du gehst mit Abschied und Tod beschäftigt; dass sich bei Anfassen jeder an die eigene Nase greift, wenn es um digitale Süchte und mangelnde Empathie geht; dass die Leute selbst entdecken, mit wem er auf Ich hab’ dich nicht mehr zu verlieren singt, und dass man nicht nur wegen All in, mit seinen Einflüssen von Fury in the Slaughterhouse bis Justin Jesso, erkennt, dass er alles, was er kann in dieses Album gesteckt hat. „‚Konturen’ ist ein großer Schritt für mich. Ich habe viel Klimbim weggelassen, mich neuen Genres geöffnet und bin mir dabei als Songwriter treu geblieben. Mein roter Faden ist eben nicht rot – er ist bunt.“
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Quelle: Sony Music