Madame Grimaud, welche Farbe hat die Musik auf Ihrem neuen Album?
Hélène Grimaud: Sie fragen das wahrscheinlich wegen meiner Synästhesie. Also: D-Moll ist immer blau für mich und c-Moll immer schwarz. Ganz unabhängig davon, ob ich das 2. Klavierkonzert von Rachmaninoff höre oder die Piano Sonata No. 14 von Mozart. Auf diesem Album ist also Schwarz und Blau. Und durch die Silvestrov-Stücke gibt es auch eine ganze Menge Grün und Gold.
Apropos Moll, wie verbringen Sie den Lockdown in den USA?
Hélène Grimaud: Ich habe versucht, einfach mal zu sein. Aber das ist schwierig, denn es gibt diese gefühlte Angst vor dem Unbekannten und die Frustration darüber, nicht vorwärts zu kommen. Oder nicht in Gesellschaft sein zu können, was doch so zentral ist für den Menschen. Das Gefühl, dass die Zeit still steht, hatte seinen Charme. Doch dann kam das schlechte Gewissen, weil es für andere so viel Leid bedeutet.
Welchen Komponisten bevorzugen Sie in solchen Zeiten?
Hélène Grimaud: Bach. Immer Bach. Es gibt etwas bei ihm, in dem ich besonders in schweren Zeiten Trost finde. Diese Musik hat überhaupt keine Leichtigkeit in sich und kein Glück, aber ich denke, sie hilft, in Verbindung mit sich selbst zu bleiben. Bachs Musik ist unglaublich demütig. Sie führt immer wieder zu der Erkenntnis, dass man nur ein winziger Teil des Ganzen ist.
Es muss das erste Mal seit sehr vielen Jahren sein, dass Sie nicht reisen.
Hélène Grimaud: Ja, und ich hasse es, wenn mir gesagt wird, was ich tun kann und was nicht.
Aber Sie haben nun mehr Zeit für Ihre Wölfe im
Wolf Conservation Center, das sie aufgebaut haben.
Hélène Grimaud: Und für die Hunde, für die Pferde, für alle Tiere. Aber es ist eben schwierig, wenn man Familie in Europa hat und sie nicht besuchen kann. Wir müssen an der Fähigkeit arbeiten, an zwei Orten gleichzeitig sein zu können.
Auf Ihrem neuen Album haben Sie zumindest schon mal zwei Künstler kombiniert, Mozart und Valentin Silvestrov, wie kam es dazu?
Hélène Grimaud: Mozart ist ein Eckpfeiler für jeden Musiker. Er taucht auch bei mir immer wieder auf. Er hat nur ein paar Stücke in c-Moll geschrieben, aber mit diesen Stücken verbringe ich besonders gerne Zeit. Mozarts Musik wird oft als „Musik der Engel“ beschrieben. Und wenn man seine Musik als Verbindung zu etwas versteht, das jenseits unserer unmittelbaren Welt liegt, dann spricht Silvestrovs Musik wohl direkt aus dieser anderen Welt.
Wie würden Sie Ihre persönliche Note auf dem Album beschreiben?
Hélène Grimaud: Ich glaube nicht, dass ich das beurteilen kann. Man könnte sagen, dass das Camerata Salzburg eine gewisse Vitalität reinbringt, durch seine Energie und den Elan. Der Rest ist sehr persönlich. Wenn Musiker in ihrem Spiel nicht ihre Persönlichkeit einfließen lassen, warum sollten Sie sich dann überhaupt die Mühe machen, zu musizieren? Und warum sollte es dann irgendjemanden interessieren? Wer auf eine vorhersehbare Weise spielt, hat das Material schon verraten. Das Wesen dessen, was die Musik hat entstehen lassen, ist etwas Spirituelles, das von einem Ort kommt, der jenseits unserer Welt liegt.
Denken Sie eigentlich bei der derzeitigen politischen Situation in den USA manchmal daran, nach Europa zurückzukehren?
Hélène Grimaud: Das ist ein sehr umfangreiches Thema. Aber die Antwort ist: Nein. Denn wer schon in jungen Jahren auf Reisen geht und sein Zuhause verlässt, kann meines Erachtens nicht mehr an nur einem Ort leben. Gerade brauche ich diesen Kontrapunkt. Und Rassismus gibt es überall. Ich versuche die aktuellen Ereignisse nicht herunterzuspielen, daran muss gearbeitet werden. Aber vergessen wir nicht, was Amerika ist und wie es gegründet wurde. Es ist einfach, den ersten Stein zu werfen. Aber es ist immer eine gute Idee, erstmal vor der eigenen Haustür zu kehren. Doch wenn man – wie Amerika – vorgibt, der Anführer der freien Welt zu sein, sollte man bestimmte Standards einhalten. Und diese Standards werden in den USA momentan nicht eingehalten.
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Quelle: Deutsche Grammophon