Es gibt Sängerinnen, die einen mit der einnehmenden Dringlichkeit ihrer Stimme so tief im Inneren berühren, als würde man von einer göttlichen Erscheinung sanft in den Schlaf gestreichelt. Es gibt aber auch Sängerinnen, deren Gesang mit solch majestätischer Wucht auf einen einkracht, dass man unter dem massiven Gewicht der Worte nicht anders kann als nur noch regungslos zu verharren. Und es gibt Sängerinnen, die einen mit ihrer Musik zum Implodieren bringen und mit ihrer Stimme eine solche Kraft in einem freisetzen, als hätte man einen aufputschenden Schirmchen-Cocktail aus Glückshormonen zu sich genommen. Und es gibt wenige Ausnahmesängerinnen, die all diese Facetten zugleich in sich vereinen. Eine von ihnen ist Thabilé.
Seit vier Jahren lebt die 34-Jährige in Stuttgart, doch geboren und aufgewachsen ist Thabilé im südafrikanischen Johannesburg. Genauer gesagt: In einem Township namens Dlamini. „Ich lebe heute in Deutschland, aber ich bin froh, in Südafrika groß geworden zu sein. Diese Wurzeln sind mir ungeheuer wichtig“, sagt sie. Das hört man auch ihrer Musik an, die immer wieder durchsetzt ist von afrikanischen Rhythmen und Gesangslinien. „Meine Songs repräsentieren nicht nur mich selbst, sondern den gesamten afrikanischen Kontinent. Jeder mit afrikanischen Wurzeln, der meine Lieder hört, soll sich darin wiedererkennen.“
Zur Musik gefunden hat Thabilé durch ihre Mutter, die als Teil eines Chores die ganze Welt bereist hat. Mit einer Bürste als Mikrofon in der Hand trällerte Thabilé als Dreikäsehoch häufig ihre Lieblingsstücke vor dem Spiegel nach, wie es kleine Kinder eben gerne tun. Doch für Thabilé war das Singen nie nur ein Spiel, nie nur eine Phase. Es war mehr. Immer schon. Sie wusste, dass sie eines Tages Sängerin werden will – auch wenn ihr anfangs noch der Mut fehlte, Stücke vor Publikum vorzutragen. Doch weil ihre Liebe zur Musik größer war als ihre Angst, ging sie mit 8 Jahren zu ihrem ersten Vorsingen – und überzeugte. So sang sie erst im Schul-, später im Kirchenchor. Heute, ihr Traum ist längst wahr geworden, singt sie für die ganze Welt.
„Let’s go back in time,
take you back in time.”
(“Pickup Hangup”)
Ihre erste Platte „Dlamini Echo“ erschien 2018, da war Thabilé bereits 31 Jahre alt – vergleichsweise spät für ein Debüt. Vorher fehlte es schlichtweg an Zeit. Und an Geld. Und an Möglichkeiten. Doch Thabilé war es ernst, sodass sie festentschlossen daran arbeitete, endlich ein eigenes Album aufzunehmen. Es gelang ihr, und zwar in Eigenregie. Und auch wenn sie damit noch keine riesengroßen Wellen schlagen konnte, so überzeugte sie dennoch jeden, der ihr die Chance dazu gab – und erspielte sich durch regelmäßige und fesselnde Live-Auftritte zunehmend eine kleine Fangemeinde. Mit der Veröffentlichung ihrer neuen EP, so viel steht fest, wird diese weiter wachsen. Sie wird eine der ganz Großen werden. Look at the sky.
„Alle Kunst muss ein Ziel haben“, findet Thabilé, „nicht einfach nur tralala.“ Wenn sie so etwas von sich gibt, wirkt das keineswegs verbissen oder frustriert – im Gegenteil. Ihr offenes Wesen, ihre einnehmende Aura sprühen nur so vor Liebe und Leidenschaft für das, was sie tut. Man spürt, wie sehr ihr die Musik am Herzen liegt, und gerade deshalb möchte sie ihre Lieder stets mit Inhalt füllen. „Es ist mir wichtig, den Leuten etwas mitzugeben. So wie die afrikanische Geschichte von Generation zu Generation weitergegeben wurde – zum Beispiel durch Lieder“, sagt Thabilé. „Aber ein Lied muss Sinn machen, einen Zweck haben. Ansonsten ist es nur Krach.“
„When I am worn and torn,
you`re my rock.
My rock, when I can stand no more.”
(“Play It Back”)
Die Liebe, die Thabilé für das Singen und ihre Musik empfindet, ist der EP in jeglicher Hinsicht anzuhören. Da ist die musikalische Bandbreite, die Genres wie Jazz, Soul, Gospel, Pop und R’n’B besonnen ineinanderfließen lässt. Da sind die musikalischen Arrangements, die in ihrer instrumentierten Klarheit ungemein fesseln, ohne aufdringlich zu sein. Da ist Thabilés stimmliche Präsenz, die mit ihrer Vielfältigkeit und Perfektion fast einschüchternd wirkt, wenn sie nicht gleichzeitig diese umarmende Wärme verströmen würde. Und da ist nicht zuletzt die Tiefe und Sinnhaftigkeit, die Thabilé all ihren Songs angedeihen lässt. „Die EP handelt von Liebe – und zwar in all ihren Facetten“, erklärt Thabilé. „Beziehungen sind manchmal traurig, manchmal lustig, sind frustrierend oder erfüllend und können einem im besten Falle überglücklich machen, im schlimmsten Falle das Herz brechen. Mit dieser EP will ich sämtliche Seiten der Liebe aufzeigen.“
Man nehme nur den Song „Play It Back“, den Thabilé für ihren Sohn geschrieben hat. Aus jedem einzelnen Takt kann man ihre bedingungslose Liebe für ihn heraushören, wenn sie sich mit der ausufernden Zärtlichkeit ihrer Stimme sanft in die reduzierten Pianoklänge schmiegt. Es rührt zu Tränen, wie sie sich öffnet, verletzlich macht und ihre unendliche Hingabe für ihn in den dreieinhalb Minuten dieses Songs in aufopfernder Ehrlichkeit verdichtet.
„Nobody Knows“ kommt mit seinem treibenden Beat um einiges geradliniger daher, reißt einen unmittelbar mit in seiner entwaffnenden Entschlossenheit. „In dem Song geht es darum, eine Beziehung nicht auf Oberflächlichkeiten aufzubauen“, sagt Thabilé. „Es geht nicht um Geld, es geht nicht ums Aussehen, sondern einzig und allein darum, ob die Liebe zweier Personen echt ist und beide glücklich sind. Nicht mehr und nicht weniger.“
Das jazzige „Say Something“ wiederum handelt vom Verblassen der Liebe und der Schwierigkeit, sich das gemeinsame Scheitern einzugestehen. Mit tiefer Melancholie haucht Thabilé ihre Gedanken zur Unmöglichkeiten der Liebe über sanfte Piano-Chords, die immer wieder ausbrechen, Haken schlagen, so als würden sie sich weigern, das Ende der besungenen Beziehung einzugestehen. Ein Stück, das deutlich macht, wie sehr Wahrheit und Wehmut häufig beieinander liegen.
„Say something,
I know it’s goodbye.
Say something,
just wanna know why.“
(„Say Something“)
Es ist zutiefst beeindruckend, wie Thabilé auf ihrer „Look At The Sky“-EP einerseits die emotionale Bandbreite der Liebe, andererseits ihre musikalische Bandbreite als Künstlerin in gerade mal fünf Songs miteinander verflochten hat. Wofür andere ganze Leben brauchen, gelingt ihr in etwas mehr als einer Viertelstunde. Es ist nicht auszumalen, was für ein musikalisches, inhaltliches und emotionales Spektrum sie auf Albumlänge abzudecken imstande wäre. Aber wir werden es erfahren. Und zwar schon sehr bald. Doch bis dahin: Look at the sky.
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Quelle: Kamè Entertainment GmbH | We Share A Lot