Marius Müller-Westernhagen ist aus der Musikgeschichte nicht wegzudenken und zugleich, und in allererster Linie, bleibt er ein Künstler mit hochaktueller Arbeit, die die Gegenwart zu seinem Thema macht und dessen Werk in die Zukunft weist.
Marius Müller-Westernhagen hat die Zeit der Pandemie genutzt, um neue Songs zu schreiben. Das Ergebnis: Sein 23. Studioalbum mit dem Titel »Das eine Leben«, das am 20. Mai 2022 erscheinen wird. Einen Vorgeschmack darauf gibt es bereits heute mit der Single »Zeitgeist«.
»Zeitgeist« ist eine donnernde Ansage an eine laute Gesellschaft, die sich von einer Kultur der Oberflächlichkeit blenden lässt und die damit verbundenen Schattenseiten bereitwillig in Kauf nimmt. Die Single prangert eine zum Lebensprinzip erklärte Substanzlosigkeit an, weil sie einen notwendigen Diskurs verhindert und nur hedonistischen Motiven dient. Marius Müller-Westernhagen ist seit jeher ein politisch und gesellschaftlich engagierter Mensch. Sei Gesamtwerk steht inhaltlich für sich, und er hat als Künstler immer Farbe bekannt. Er kann es nicht hinnehmen, dass die Gesellschaft ihren Zusammenhalt, ihre Substanz und ihre Gesprächsfähigkeit verliert. Seine Antworten gibt der Künstler über seine Texte und seine Musik. Mit Empörung im richtig verstandenen Sinne singt er in der Hook: »Ich hab gebetet, du hast getötet mit deiner Worte Macht / Wollt dir vertrauen, auf Gott vertrauen / schrie so laut ich konnte, während du dich sonntest, mit tauber Botox-Fresse mich auslachst.« In diesem Zusammenhang setzt der Künstler als Beleg die Kardashians, wenn er ihnen in dem Song attestiert: »Der Lack ist ab, die Luft ist raus.«
Dass er mit den vermeintlichen grellen Protagonisten und deren lautem Zeitgeist nicht viel anfangen kann, daraus macht Westernhagen keinen Hehl: »Kim Kardashian hat praktisch mit nichts sehr viel Geld gemacht und einer Menge junger Menschen vermittelt, das sei das Leben: die nächste Party und was man da anzieht.« Vor diesem Hintergrund kritisiert der 73-Jährige vor allem die sozialen Medien, die diese Inhalte erfolgreich transportieren und als Verstärker dienen. »Sie begünstigen Voyeurismus, Exhibitionismus, Neid. Und sie promoten Banalitäten. Das ist doch idiotisch.«
Diesen Irrsinn veranschaulicht auch das Video zu »Zeitgeist«, welches Marius ebenso wie die Fotos zum Album mit Olaf Heine in Berlin aufgenommen hat. Darin sieht man den Künstler durch eine Kunstinstallation laufen. Bilder aus dem politischen, gesellschaftlichen und sozialen Tagesgeschehen werden auf Tücher und Papierbahnen projiziert. Mal verloren, mal couragiert bewegt sich Marius Müller-Westernhagen durch diese Momentaufnahmen und setzt sie in die richtigen Zusammenhänge. Der Flut der Bilder kann er scheinbar nicht entkommen, entlarvt ihre Hintergründe aber geschickt als Irrwege. Am Ende implodieren die Aufnahmen bildgewaltig wie ein verglühender Analogfilm. Zurück bleibt ein Marius Müller-Westernhagen irgendwo zwischen Ratlosigkeit und Entschlossenheit. Er bleibt sich treu als ein Ausnahmekünstler, der sich mit dem Zeitgeist von heute nicht arrangieren kann und will. Und auch nicht darf.
:
Quelle: Sony Music