Mit über 100 000 verkauften Tonträgern und ihrem eigenen, äußerst erfolgreichen Festival („Stadt ohne Meer“), sind die „Hoffnungsträger des Deutsch- Pop“ (1Live) und die ehemaligen „Sprecher der Generation Y“ (DIE ZEIT) aus der hiesigen Musiklandschaft nicht mehr wegzudenken. Trotzdem hat man bei jedem neuen Album das Gefühl, dass wir es hier mit Newcomern zu tun haben. Woran liegt das? Sozialisiert im Deutsch Rap der Nullerjahre, waren sie ganz früh Teil dieser kleinen Sub-Rap-Szene in der ihre männlichen Protagonisten sich nicht mehr für ihre Emotionalität schämen mussten. Eine Konstante hat die Band bisher beibehalten: Die inhaltliche Auseinandersetzung, sowie das kompromisslose Hinterfragen des Status-Quo, die Lebenswirklichkeit da draußen, die Gefühlslage im Innern. Im Jahre 2015 thematisierten sie als erste Künstler überhaupt den Rechtsruck in der bürgerlichen Mitte, der sich ganz deutlich in Pegida-Märschen und dem Erstarken der AFD manifestierte. Als OK KID sich im Sommer 2020 das erste Mal nach einer halbjährigen Bandpause trafen, hatten sie keine Ahnung, welche Musik sie machen wollten. Nach der Trennung vom Label, sollte auch noch die Trennung von der Booking-Agentur, dem Management und weiteren engen Menschen im OK KID Kosmos folgen. Was blieb waren sie „DREI “. Wie eine selbsterfüllende Prophezeiung, sollte der 2019 auf der Playlist WOODKIDS erschienene Song „Nur wir Drei“ Realität werden.
”Als wir zum ersten Mal zu dritt ins Studio gingen, haben wir uns eine Aufgabe gestellt, die sich jeder selbst beantworten musste: Was an OK KID finden wir geil? Was sind die Songs von uns, die wir am meisten feiern und warum? Wo könnten wir ansetzen für neue Songs, Themen, Sounds?“, erklärt die Band. Schnell wurde ihnen klar, dass sie wieder Lust haben ein Album zu schreiben. Ein Album, in dem sich jeder Song einer gewissen Überschrift stellen muss: DRINGLICHKEIT. Musikalisch? Im besten Fall so, als würden Nine Inch Nails, Mac Miller und Ton Steine Scherben gemeinsam ein Album machen.
Schaut man sich das Cover an, kann man vielleicht schon erahnen was in den 11 Songs Programm sein wird. Düsenjets, Rauchwolken, Krieg? Gut, dass wir nicht Teil davon sind und aus sicherem Abstand dem Unheil von oben zuschauen können. Aber halt: Der Vorhang in unserer Penthouse Wohnung brennt schon? Wie konnte das passieren? Die Krise, das Unheil, der Krieg ist längst bei uns angekommen. Auch wenn es vielleicht noch nicht alle gemerkt haben: Es ist unsere Krise. Niemand kann sich ihr entziehen. Es sind verstörende Zeiten, die wir jeden Tag beobachten. Da draußen in der weiten Welt, vor unserer Haustür in unserem Wohnzimmer und das, was die Krisen mit unserem Inneren anstellen. Davon handelt DREI.
Eine gefühlte „Best of“- OK KID Platte, aber irgendwie noch ein bisschen besser, als das was wir von OK KID bisher lieben gelernt haben. Seit jeher mischen sich bei ihnen elektronische Beats mit organischen Instrumenten und Sprechgesang – so konsequent und stilsicher aus einer Gussform hat man sie aber auf Albumlänge noch nicht gehört. Komplett in Eigenregie von Raffi Balboa produziert (bis auf den Song „Leben Light“, der eine Co-Produktion mit Tim Tautorat ist), nehmen uns OK KID mit in ihre Lebensrealität. Ein Zeitalter geprägt von Unsicherheit, einer tiefen Spaltung, Pandemie und Schwurblern; alten weißen Männern, Ohnmacht aber auch neuem Feminismus, Klimastreiks Aufbruch!. Hier prallen Gegensätze aufeinander und lassen aus Trümmern der Zeitgeschichte wunderschöne Songgebilde entstehen. OK KID begegnen den „großen“ Themen nicht mehr mit Ironie oder Satire wie auf ihrem Vorgänger „Sensation“. Es geht auf DREI genauso um toxische Männlichkeit, Klimakatastrophe, mentale Gesundheit, wie um das kompromisslose auseinandernehmen der eigenen „Bubble“. „Hausboot am See“ erzählt wie sich die Spaltung der Gesellschaft einmal quer durch den engsten, eigenen Freundeskreis zieht. Songs wie „Kein Mensch“,- 3:50 Minuten pure Verachtung gegenüber den ewig Gestrigen, den Fakten-Verweigerern, werden hier zu Partner*innen in Crime mit Selbstliebe- Hymnen („Mr. Mary Poppins“) und Ohmacht-Frustration-Ausbrüchen („Leben Light“).
DREI funktioniert nicht durch gut gemeinte Ratschläge oder Parolen, sondern vielmehr wegen der emotionalen Binnensicht auf die Dinge. Was macht das Ganze mit mir? Das Kleine spiegelt sich im Großen und andersrum. Das tut weh und ist unangenehm, aber immer dann, wenn wir kurz davor sind, uns wirklich schlecht zu fühlen, ruft uns eine Stimme zu „Der Herr ist eine Frau, es regnet Hirn“.
Dann müssen wir schmunzeln, dann haben wir Lust zu tanzen und geben die Hoffnung noch nicht auf, dass die düster aussehende Wolke auf dem Cover vielleicht doch irgendwann Zuckerwatte wird. Das kann DREI nämlich auch: Mitreißen, Extase, Hoffnung und Abgrund gleichzeitig. Musik für den Fahrstuhl? Eher nicht.
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Quelle: BMG