Blue – also Antony Costa, Duncan James, Lee Ryan und Simon Webbe –, das ist so ein Name, der einen automatisch in die Boygroup-Ära transportiert: Sie waren nicht nur einer der größten und erfolgreichsten Acts jener Hochphase, sondern vor allem auch einer der besten. Auf den drei Alben, die ihnen in den Nullerjahren Spitzenplätze in den Charts (u.a. 3x #1 UK, 1x Top-10 DE) und reichlich Platin bescheren sollten, verschränkten sie lässigen R&B mit hochauflösender Pop-Perfektion und emotionalen Balladen, was der im Jahr 2000 gegründeten Boygroup nicht nur 16 Millionen verkaufte Albumeinheiten bescherte. Auch zwei BRITs räumten sie ab im Königreich, wo sie gleich 11 Mal die Topregion der UK-Singlecharts aufmischen konnten und davon gleich noch drei Mal die #1 belegten.
Nachdem sie pandemiebedingt keine Gelegenheit hatten, es 2020 zum zwanzigjährigen Jubiläum richtig schön krachen zu lassen, holen die vier Freunde das in diesem Jahr nicht bloß nach, sondern setzen auch noch einen drauf: Parallel zur karriereübergreifenden Stadiontournee werden sie im Herbst ihr sechstes Album Heart & Soul veröffentlichen – ihr erstes fürs neue Label Tag8 Music/BMG. Der neue Longplayer unterstreicht und zelebriert all das, was die Band während ihrer ersten Blütezeit ausmachte, denn er spielt immer wieder auf die Vergangenheit an, bringt aber auch kontinuierlich Neues ins Spiel. Ihr Trademark-Sound schwingt im sorglos-ausgelassenen Titelsong, der von MNEK (Beyoncé, Little Mix) mitkomponiert wurde, genauso mit wie in der gefühlvollen Ballade „Magnetic“, bei der die Jungs mal wieder ihr ganzes umwerfendes Stimmvolumen auspacken dürfen. Mit der überdimensionalen Leadsingle „Haven’t Found You Yet“ legen Blue einen Instant-Classic vor, der klanglich eher in Richtung Justin Bieber oder auch jüngere Coldplay-Hits geht. Man hört, dass sie unbedingt alles geben wollten für Heart & Soul. „Ich denke, wir haben uns bewusst so viel Zeit gelassen dieses Mal… wir haben die Songs geschrieben, und wir sind alles mit einem ganz, ganz feinen Kamm durchgegangen“, berichtet Antony. „Und wir sind so stolz drauf.“
Wie die meisten Albumprojekte in den letzten zwei Jahren, entstand auch Heart & Soul aufgrund der globalen Situation ganz anders als geplant. Anfang 2020 flogen Blue – die übrigens zwischendurch regelmäßig aufgetreten sind, obwohl die letzte Albumveröffentlichung (die Motown-Hommage Colours, 2015) auch schon wieder sieben Jahre zurückliegt – gemeinsam nach Schweden, um dort an einem Schreibcamp teilzunehmen. „Eigentlich wollten wir nur ein wenig herumspielen und einfach mal schauen, was dabei so herauskommt“, erinnert sich Duncan. „Es gab auch noch gar keinen Plan, ein Album zu machen. Stattdessen lautete das Motto: wir schauen einfach mal.“ Die Atmosphäre war entsprechend entspannt – und von Druck konnte nicht die Rede sein. „Solche Schreibcamps sind ja dazu da, um nicht aus der Übung zu kommen“, meint Simon. „Wer relevant bleiben will, muss mit der Zeit gehen… man kann also nicht sagen: ‘Diese neue Ära schmeckt mir nicht – da bin ich raus’, nein, denn das wäre gleichbedeutend mit Stillstand. Und man kann ja auch neue Sachen machen und sich dabei trotzdem im Kern treu bleiben.“ Zugleich schrieben sie die Tradition fort, bei jedem ihrer Alben auch als Songwriter selbst involviert zu sein: „Wir können das selbst – und wenn man uns lässt, dann können wir astreine Hitmelodien schreiben“, sagt Antony. Besonders bei Lee merkt man sofort, mit wie viel Leidenschaft er auch als Songwriter bei der Sache ist: „Ehrlich gesagt haben wir nie wirklich aufgehört mit dem Schreiben. Ich liebe es einfach, ich liebe diesen Job. Darum lande ich auch immer wieder bei der Musik. Es war echt toll, endlich wieder ins Studio zu gehen und einfach für die Band zu schreiben.“
Schon in jenen ersten Sessions entstanden fünf fertige Songs – u.a. die Leadsingle „Haven’t Found You Yet“, die Antony zusammen mit dem Produzenten Ronny Svendsen geschrieben hat. Insgesamt sollte Svendsen, der schon den Eurovision-Titel „I Can“ (2011; DE Top-10) produziert hatte, drei Songs von Heart & Soul mitkomponieren. „‘Haven’t Found You Yet’ ist so ein genialer Song“, sagt Duncan und strahlt übers ganze Gesicht. „Wir alle waren sofort begeistert von dem Stück – und damit lag dann auch schon mal die Latte fürs neue Album. Das war der Maßstab für jeden Song, den wir danach aufnahmen.“ Mehr als zufrieden mit den ersten Resultaten kehrten sie schließlich nach London zurück, wo jedoch die erste Lockdown-Phase auf sie wartete. Schlagartig mussten sie alles auf Eis legen. „Und dann begannen die Gespräche zum 20. Jubiläum – während der Pandemiezeit“, so Duncan. Natürlich ist das 20. Jubiläum ein riesiger Meilenstein, aber überrascht waren sie trotzdem: „Ja, das kam echt wie aus heiterem Himmel. Aber wenn man immer noch regelmäßig auftritt und die Leute einem das Gefühl geben, dass man immer noch relevant ist, dann merkt man wohl auch gar nicht, dass schon zwei Jahrzehnte vergangen sind“, lacht Simon. Lee hingegen möchte das Thema am liebsten ganz weit wegschieben: „Ich mag’s halt nicht so, wenn man mich daran erinnert, dass wir alle alt werden.“ Andererseits ist Langlebigkeit ein extrem seltenes Gut in der Popwelt – weshalb man so ein Jubiläum auch nicht unter den Teppich kehren darf. Als sie sich dann schließlich noch einmal die ersten Songs anhörten, die in Schweden entstanden waren, war klar, dass diese Stücke den Kern eines grandiosen Albums ergeben würden – eines Albums, das auch so einem runden Jubiläum gerecht wird. Sie wollten weitermachen und dafür einen Partner ins Boot holen, der sie von Anfang an begleitet hatte: Hugh Goldsmith. Er war’s nämlich, der ihnen damals den ersten Deal angeboten hatte. „Und er ist auch der Hauptgrund dafür, dass wir überhaupt diejenigen Hits hatten, die schließlich auf unser Konto gingen“, so Lee. „Unsere Karriere begann mit Hugh – und es ist toll, jetzt wieder mit ihm zu arbeiten. Er versteht auch einfach so unfassbar viel von Musik.“
Nachdem das Fundament für Heart & Soul damit stand – der Titel unterstreicht, mit welcher Hingabe die Band bei der Sache war –, setzten sie die Songwriting-Sessions in Großbritannien fort, wobei Blue und Goldsmith nach und nach die endgültige Tracklist herausfilterten. Schließlich wurde auch die Leadsingle ausgewählt: Ein Prozess, der für Antony von reichlich Angstschweiß begleitet wurde, wie er rückblickend gesteht. „Natürlich kommt da auch mal so ein Gefühl der Unsicherheit durch und man denkt sich: ‘das gefällt doch bestimmt niemandem’… aber die Jungs mochten es dann doch“, sagt er und lächelt. „Hugh meinte, der Song sei der Hammer und er fand gleich, dass das die erste Single sein müsste. Natürlich war ich voll happy danach – und das war auch voll gut für mein Selbstbewusstsein.“ Immer schon offen und ergebnisorientiert, was den kreativen Prozess angeht, baten Blue danach auch andere Songwriter um deren Input und Ideen. Ein Track, der dadurch wenig später auf ihrem Tisch landete, war der Titelsong: ein treibender Dance-Rundumschlag, mitgeschrieben von MNEK und produziert von Shift K3Y. „Ich bin ein Riesenfan von MNEKs Songwriting und von seinem Ansatz als Producer. Ich finde auch, dass er unglaublich viel für die LGBTQ+-Community geleistet hat, indem er dermaßen offen mit dem Thema umgeht“, findet Duncan. „Kontaktiert habe ich ihn dann über Instagram. Ich sagte ihm, dass wir unbedingt mal quatschen müssten und ob er nicht vielleicht an einem Song für Blue mitarbeiten wolle. Etwas später meldete er sich dann mit dem Track zurück: Ich spielte ihn den anderen Jungs vor und die waren sofort begeistert.“ Tatsächlich hat auch MNEKs Beitrag – wie so viele Songs des neuen Albums – das Zeug, zu einem richtigen Live-Highlight bei der kommenden Stadiontour zu avancieren. „Ja, wir haben schon mehrfach darüber gesprochen, wie es wohl wäre, die Show mit diesem Song zu eröffnen“, verrät Simon. „So etwas muss man einfach bedenken. Dieser Live-Faktor ist wichtig. Schließlich sind wir Performer – und wir lieben es, eine richtig krasse Show auf die Bühne zu bringen.“
Während der Titeltrack „Heart & Soul“ und das treibende „Ultraviolet“ ganz klar die Dancefloor-Highlights des neuen Albums sind, kommt im Verlauf der insgesamt 10 Songs auch immer wieder ihr Hang zu emotionalen Balladen und gefühlvollen Mid-Tempo-Songs zum Vorschein. Eine umwerfende Ballade ist „Gravity“, basierend auf einer Songidee, die Simon schon vor knapp 10 Jahren kam. „Damals stand ich voll auf Twilight“, erinnert er sich. „Ich hatte eine bestimme Szene im Kopf, in der sich alles um diese magische Anziehungskraft dreht. Ich fand das spannend, diese Idee zu nehmen und daraus ein Liebeslied zu machen. Danach hatte ich diese Idee jahrelang in der Schublade, es musste nur noch der geeignete Moment kommen, um sie rauszuholen. Als ich den Song dann den anderen vorspielte, sagten sie nur: ‘Oh mein Gott, wo kommt der denn jetzt plötzlich her?!’“ Auch aus Simons Feder ist der gefühlvolle Schlusspunkt des Albums, „Stop“ – ein Stück, das gerade in den Jahren 2020/2021 immer mehr an Bedeutung gewann. „Als dann alles heruntergefahren wurde und Lockdown-Stillstand angesagt war, wirkte ‘Stop’ wie der perfekte Soundtrack dazu. Das Timing stimmte einfach“, so Simon. „Ich denke, dass viele Menschen dadurch erkannt haben, wer und was ihnen persönlich wichtig ist im Leben. Wir sollten alle wieder dieses Kindliche in uns zulassen: Auf unsere Wünsche hören und im Umgang mit unseren Mitmenschen mehr Raum für die Liebe machen.“
Auch gewohnt verspielt und anzüglich klingen Blue auf Heart & Soul – etwa auf dem in feinste Seide gehüllten „Man Do“, das für Liebende gemacht ist und mit leichten SM-Anspielungen, Kerzenwachs, Safewords & Co. daherkommt: „Da ist mal wieder die etwas ungezogene Seite von Lee zum Vorschein gekommen“, sagt Duncan. „Das ist einfach ein sexy Song: Wir sind Blue – und wir waren schon immer etwas unanständiger als die anderen.“
Der Autor des Stücks sieht’s genauso: „Ich wollte da so dieses Prince-Ding abziehen, wo man sich im Text schon ziemlich nah in Richtung Ziellinie bewegt“, so Lee, dessen Falsettgesang hier die Hauptrolle spielen darf. „Ich bin echt froh, dass wir auch so einen Song auf dem Album haben – denn das verhindert, dass alles zu poppig wirkt. Der Track klingt einfach extrem cool.“ Dazu präsentiert die Band auch einen Coversong, wenn sie den lasziven R&B-Klassiker „Dance With Me“ (2001) von 112 neu interpretieren. „Das war meine Idee, diesen Song zu machen“, erzählt Antony und lächelt. „Das war so ein Lied, das wir damals echt vor jedem Auftritt im Auto gehört haben. Und der Song spielt genau auf das an, wofür wir selbst in den beginnenden Nullerjahren bekannt waren.“ Tatsächlich passte die Coverversion so gut ins Albumkonzept, dass die Band noch eine weitere Parallele erkannte: „Ja, das alles fügte sich so perfekt zusammen, dass sich ‘Dance With Me’ hinterher gewissermaßen wie das ‘Too Close’ dieses Albums anfühlte“, meint Duncan, der damit auf ihre damalige Coverversion eines R&B-Songs von Next anspielte, die ihnen in der Heimat 2001 sogar eine Erstplatzierung bescherte. „Wir fanden es auch einfach wichtig, die wahre Identität von Blue zu zeigen – also das, worum es uns wirklich geht“, so Simon. „Dieses R&B-Feeling und solche gefühlvollen Gesangspassagen waren schon immer zentral für Blue. Auch daran sollte dieses Album erinnern und anknüpfen.“
Tatsächlich ist es der gelungene Balanceakt zwischen klassischem Blue-Sound und zeitgenössischen Elementen, der Heart & Soul so unglaublich schlüssig klingen lässt: Während Stücke wie das überdimensionale „Magnetic“ ganz klar an klassische Blue-Balladen anknüpfen (man denke etwa an „If You Come Back“ oder „Breathe Easy“, um nur zwei Beispiele zu nennen), gibt es auch Momente wie „This Could Be Love“ – wo sie ausnahmsweise auch rockigere Elemente ins Spiel bringen. „Das Tolle an diesem Album ist, dass es so extrem abwechslungsreich ist“, findet auch Lee. „Wir haben ja noch nie ein Album gemacht, das durchweg auf einen einzigen Musikstil setzt – und ich glaube, auch dieses Mal haben wir das wieder sehr gut hingekriegt.“ Ein verbindendes Element gibt es trotzdem: Das einzigartige Zusammenspiel dieser vier Stimmen. Und eine geteilte Vision dessen, wofür der Name Blue steht. Auch deshalb ist Heart & Soul das erste Album seit langem, das den Spirit der Anfangsjahre mühelos einfängt – was die Jungs auch sichtlich fröhlich stimmt: „Also wer auf der Suche nach einem krassen Albumstatement von deinen Lieblingsjungs ist, der wird hier fündig“, sagt Simon. „Damit wieder auf Tour gehen zu können und dann Sachen von damals und dazu auch Songs von diesem Album präsentieren zu können – ich würde sagen, damit schließt sich der Kreis. Fühlt sich richtig gut an“, sagt auch Duncan abschließend. Und was ist nun der Schlüssel für den anhaltenden Erfolg von Blue? „Wir hatten immer nur Liebe und Respekt füreinander übrig“, so Simons Kommentar. „Wir alle sind Brüder – und jeder von uns ist Blue.“
:
Quelle: Tag8 Music / BMG | Add on Music