Wäre Johannes Oerding nicht großzügig Gold- und Platin dekoriert, hätte er nicht über eine Million Platten und ebenso viele Konzerttickets verkauft und gehörte er nicht zweifellos zur Liga der erfolgreichsten Musiker des Landes – was wäre sein Plan B? Eine Frage, auf die der Hamburger nie eine Antwort hatte, weil er sich keine Alternative zurechtgelegt hat. Es mag starkes Songwriting sein, außergewöhnlicher Fleiß, seine Stimme, die unstillbare Liebe zur Livebühne, Charme oder einfach Glück – Oerdings PLAN A ist aufgegangen.
Eine Tatsache, die ihm erst kürzlich richtig bewusst geworden ist. „Ich war ehrlich überrascht, als ich den Award für diese unglaublichen Verkaufszahlen bekommen habe. Ich hatte das nicht auf dem Zettel und hab erst mal geheult wie ein Schlosshund. In dem Moment hat etwas Klick gemacht.“ Dabei ist der Weg, den der 40-jährige Künstler zurückgelegt hat kein kurzer. Seit 2009 erarbeitet er sich jeden seiner Erfolge hart und erntete 2019 mit dem Platinalbum „Konturen“ seine erste Nr. 1 in den Charts. Seine Fans gehen seit Jahren jeden seiner Schritte mit und feiern ihn nicht nur wegen der Radiohits, sondern wegen eines Lebensgefühls, einer Haltung. Es ist das Glas, das immer halbvoll ist, die unbändige Freude am Moment und das Wissen, dass der Johnny auf der Bühne auch der ist, den man in der Kneipe trifft.
Umso interessanter ist es, sein kommendes Album PLAN A zu hören, denn er lässt hier, wie er selbst sagt: „noch mehr die Hosen runter“. Die Brennweite hat sich geändert. Der Meister des Weitwinkels mit Goldsingles wie „Alles brennt“, „Kreise“ oder „An guten Tagen“, die den Nerv ganzer Pop-Jahre getroffen haben, hat sich auf diesem Album mit Freunden, Familie, Beziehung und sich selbst auseinandergesetzt. „Meine Songs waren immer persönlich, aber diesmal habe ich mich gefragt, was uns menschlich und emotional macht. Es hat vielleicht mit der Zeit zu tun, in der wir seit zweieinhalb Jahren leben oder vielleicht liegt es am Älterwerden – jedenfalls habe ich mich mehr als sonst mit dem befasst, was direkt um mich herum passiert.“ Belegen lässt sich das mit Texten, die intensiver und zugleich lässiger sind und einer Experimentierfreude, die die Messlatte des letzten Albums locker ein Stockwerk höher legt.
PLAN A enttäuscht niemanden, der die ersten Singles des Albums schon in der Playlist hat, aber spielt an anderer Stelle genüsslich mit Gospel, Blues, Country, Disco und 80er-Rock, macht High Fives mit Prince und Springsteen und zitiert tiefenentspannt Lindenberg, Lennon und Michael Jackson. Die einen wird das an Oerdings Anfänge erinnern, die anderen werden eventuell überrascht sein – aber alle werden ihn hinterher noch ein bisschen besser kennen: „Ich habe alles aufs Album genommen, was aus mir rauskam. Den Kopf auszuschalten und noch mehr nach innen zu gehen, hat einfach Spaß gemacht.“0
Die bereits veröffentlichten Albumtracks haben das Licht am Ende des Tunnels schon mal angemacht: Beide Songs sind Johannes Oerding pur. „Plan A ist aufgrund der politischen Entwicklungen vielleicht ein bisschen untergegangen, aber live geht er umso mehr ab und Kaleidoskop mag ich bis heute sehr, weil er etwas ganz Starkes in mir auslöst. Und die Reaktionen auf den Song zeigen, dass er zur richtigen Zeit kam – ich höre oft, dass die Leute genau so einen Song gebraucht haben. Einen mit Happy End.“
Düster wird es auch in Stärker nicht, aber in punkto Intimität geht es hier schon eher zur Sache. Der Track handelt von Trennung und davon, dass man sie sich manchmal leichter vorstellt als sie am Ende ist. „Mit den Jahren bilanziert man vielleicht mehr. Macht sich mehr Gedanken, hört auch bei Freunden anders hin. Zeynep Avci hat mich als Kandidatin bei ‚The Voice‘ total begeistert. Nicht nur mit ihrer Stimme, sondern auch als Mensch. Der Chorus hatte beim Schreiben so eine Tragweite, dass ich sofort an sie gedacht habe und zum Glück hat der Song sie auch berührt. Ich glaube, es gibt nicht viele deutsch-türkische Popduette – dabei ist das Zusammenleben unserer Kulturen doch längst eine Realität. Deswegen ist es auch total stimmig, dass Zeynep hier auch Deutsch singt und ich Türkisch.“
Maximale Nähe lässt Johannes Oerding dann im Eins-zu-eins Gespräch zu. Ein bewegender vertonter Brief an seinen Vater, der mit brüchigem, gesprochenen Wort beginnt und endet, und dazwischen alle Stationen und Gefühle einer besonderen Beziehung fühlbar macht. „Den Song kann ich nicht oft hören. Er geht mir immer noch sehr nah und ist in meinen Augen einer der schönsten und wichtigsten Songs, die ich je geschrieben habe. Eingesungen habe ich ihn in einem einzigen Take auf einer Couch an der Nordsee. Ein altes Mikro, kein Studiogedöns – er kommt genauso raus, wie er aufgenommen wurde.“
Den Albumrelease flankieren wird Ecke Schmilinsky. Soulig und sinnlich zelebriert er eine Begegnung, die das Leben vor Jahren völlig auf den Kopf gestellt hat. Dass Oerding jetzt auch Eindeutiges souverän in Songs kleidet, zeigt sich im Prince-Feel genauso wie in Wortspielen oder einer coolen Portion Selbstironie. „Ich frage mich manchmal, warum der Song so kurz ist, weil ich ihn selbst so gern höre“, grinst er. „Geschrieben habe ich das Lied, um eine Erinnerung zu beleuchten, die man im Laufe der Zeit vielleicht ab und an vergisst. Den Moment, in dem alles um einen herum stehenbleibt, der Atem aussetzt und nichts anderes wichtig ist. Ich kann mich mittlerweile mehr öffnen und vielleicht trifft der Song ja ein paar Menschen, die sich irgendwann die Frage stellen, ob alles in den richtigen Bahnen läuft. Manchmal liegt die Antwort unter einer Laterne.“
Auch wenn in Porzellan nicht alles heil bleibt, grooven große Emotionen auf leichtem Beat. „Ich habe gemerkt, dass gerade die Lyrics, die ich einfach so runtergeschrieben habe, die intensivsten sind. Der Song ist ziemlich schnell entstanden: drei, vier Akkorde und die Erkenntnis, dass eine Beziehung auch bedeutet, die schwierigen Zeiten auszuhalten. Dass der andere auch ausflippen darf und man trotzdem da ist.“ PLAN A kann aber auch einfach verdammt Laune machen: Die Basslinie von Was wäre wenn treibt von A bis Z durch, zwinkert verschmitzt dem King of Pop zu und würde sich auch im Club bestens machen, während Schnee von gestern aufgekratzt durch unseren „Summer of ’96“ rockt – ey, läuft.
Neben der einfühlsamen Pianoballade Diese Stadt ist einsam ohne dich bleibt auch der Schlussakkord des Albums dem treu, wofür Johannes Oerding steht: „Ich habe lange überlegt, ob ich in Bis der Himmel uns bestellt das Wort ‚Liebe‘ verwende, weil es ja auch echt kitschig sein kann. Aber es passt und das ist eben einfach die Sprache, die ich mag. Ob es um eine Romanze geht oder um Freundschaft: Für mich ist es der perfekte letzte Song – am Ende nimmt PLAN A alle noch mal ordentlich in den Arm.“ Und das fühlt sich auch deswegen so gut an, weil Johnny den wichtigsten Satz seines Vaters in die Tat umsetzt:
„Junge – such, find und tu das, was dich ein Leben lang glücklich macht.“
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Quelle: © Sony Music
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