»Die meisten meiner Stücke sind Momentaufnahmen«, sagt Roger Eno. »Wie, wenn nicht im Augenblick, sollte man die Welt beschreiben? Nichts lässt sich fixieren, alles ist im Fluss, veränderlich, wandelbar.« Auf the skies, they shift like chords hält Eno die Welt in zwölf musikalischen Aquarellen fest, spontane Skizzen gingen ihnen voraus – ein suggestiver, zum Nachdenken anregender Weg durch Klang und Stille.
Nach seinem erfolgreichen DG-Solodebüt The Turning Year im vergangenen Jahr und Tracks wie »Above and Below« mit über 19 Millionen Streams erscheint nun am 13. Oktober 2023 Enos zweites Soloalbum bei Deutsche Grammophon. Vier der Tracks sind vorab digital erhältlich: am 25. August »Strangely, I Dreamt«, gesungen von Cecily Eno, am 8. September »Tidescape«, am 22. September »Chordal Drift« und am 13. Oktober »Arms Open Wide«. Das Album wird außerdem am 17. November in den USA auf Vinyl veröffentlicht, zeitgleich mit einer weltweiten Veröffentlichung von »Strangely, I Dreamt« in voller instrumentaler Besetzung und als Fassung für Klavier solo.
the skies, they shift like chords baut auf der Klangwelt von Klavier und Streichern auf, die Eno auf The Turning Year erstmals bei DG vorstellte. E-Gitarre, Klarinette, Bassklarinette, Vibrafon, Flötenorgel und Electronica kommen hinzu. Die meisten Stücke sind aus Improvisationen entstanden, den musikalischen »Momentaufnahmen«, von denen Eno spricht. »Sie sind am besten festzuhalten, indem man aufs Detail verzichtet«, sagt er. »›Chordal Drift‹, das erste Stück auf the skies, ist eine Abfolge recht satter Streicherakkorde ohne jede Andeutung einer Melodie. Hört man genauer hin, dann entsteht ein Zusammenhang.«
Das einzige vokale Stück des Albums, »Strangely, I dreamt«, wurde von Roger Enos ältester Tochter, der Sängerin und bildenden Künstlerin Cecily Eno, mitverfasst; und sie ist es auch, die hier den Vokalpart übernimmt. Der Text stammt aus einem Gedicht von einem Freund Enos. Cecily hat ihn angepasst, sodass er »The skies, they shift like chords« enthält, eine Einladung, über das Wesen der Vergänglichkeit nachzudenken.
Den gleichen Gedanken fasst »Tidescape«. »Es verdankt seinen Namen einem Gedicht von Mary Markwell aus dem Jahr 1976. Ich bin zufällig in einer Anthologie der Suffolk Poetry Society darauf gestoßen, einer bezaubernden Gedichtsammlung. Der Name gefiel mir, weil darin mitschwingt, wie die Gezeiten eine sich wandelnde, einzigartige Landschaft schaffen«, sagt Eno.
Als »Tidescape« Gestalt annahm, bat er Jon Goddard, einen befreundeten Gitarristen, einen hohen Gitarren-Drone über die existierenden Flötenorgeltöne zu legen. »Jons Arbeit machte Raum für zwei weitere Elemente im Stück, die wunderbare Klarinette und die Bassklarinette, die wie akustischer Samt klingen. Das Stück wurde dadurch offen und vielleicht war es genau das, was meinen DG-Produzenten Christian Badzura auf den durchaus gewagten Gedanken brachte, eine verfremdete Gitarre zu ergänzen. Ich genoss es sehr, wie sich das Stück wie von selbst entwickelte, wie ein Fluss, der sich seinen Weg zum Meer bahnt.«
»Arms Open Wide« hingegen kehrt zur Einfachheit von Enos Soloklavierstücken zurück. Gleichwohl wird der Track trotz einer sanften, intimen Atmosphäre von einem Gefühl der Stärke getragen. »Es muss immer etwas Starkes und durch und durch Schönes darin sein, sonst gerät man auf das gefährliche Terrain der Fahrstuhlmusik.«
Zu den anderen ausdrucksstarken Titeln des Albums zählen »Japanese Rain Garden«, »That Which Is Hidden«, »Mind the Gap«, »Illusion«, »Above And Below (Crepuscular)« und »Through The Blue (Crepuscular)«. »Ich gebe den Stücken immer erst einen Namen, nachdem ich sie komponiert habe«, sagt Roger Eno. »Ich suche nach einem passenden poetischen Titel, damit sie Gefühle, Empfindungen und Gedanken auslösen, während die Musik spielt.«
Ein emotionaler Faden, der sich durch the skies, they shift like chords zieht, ist Enos Verbindung zu East Anglia, seiner Heimat. Seine Stücke sind von dieser Landschaft inspiriert, von den kleinen Städten, den mittelalterlichen Kirchen, den Weizenfeldern, Wiesen, Flüssen, dem weiten Himmel, und auch von den dortigen Dichtern und Künstlern, der Norwich School des frühen 19. Jahrhunderts etwa. Die Melancholie, die anklingt, ist sehr wohl Mahnung, denn die Artenvielfalt der Region ist durch intensive Landwirtschaft und den Klimawandel bedroht.
»Im Grunde geht es um Vergänglichkeit«, sagt Eno über die neue Aufnahme, deren Momente der Stille von großer Bedeutung sind, damit die Musik atmen kann, während der Hörer erkundet, was er fühlt und was ihm in den Sinn kommt. »Es gibt viele Lücken und Pausen, überall auf dem Album, und die sind Teil des Ganzen. Endet ein Stück, ist man noch ›da‹. In der Musik. Setzt das nächste Stück im falschen Moment ein, klirrt es in dem einen oder sogar in beiden. Das Komponieren ist nur ein Aspekt des Prozesses – diese anderen, strukturellen Details sind überaus wichtig.«
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Quelle: © Deutsche Grammophon