ALBUM | Jack Savoretti „Miss Italia“ | ab heute

Mit zwei Nummer Eins-Alben in Folge zählt Jack Savoretti in Großbritannien längst zu den großen Namen der Singer-Songwriter-Szene. Auf seinem neuen Werk „Miss Italia“, das am 17.5. erscheint und für das er auch mit Stars wie mit Natalie Imbruglia und Zucchero zusammengearbeitet hat, singt der Sohn eines italienischen Musikers und britischen Models erstmals auf italienisch. Ein Gespräch über  komplizierte Vater-Sohn-Beziehungen, das Song-Schreiben als Therapie und Wandern zwischen den Kulturen.
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Quelle: © Universal Music | franel
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Interview mit Jack Savoretti
geführt von Alexander Nebe
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 „Miss Italia“ ist eine Liebeserklärung an Ihre zweite Heimat. Wann haben Sie zum ersten Mal den Wunsch verspürt, ein Album komplett in Italienisch zu singen?

In der Vergangenheit habe ich schon immer gerne Italienisch gesungen. Anfangs meist privat, dann aber auch auf meinem vorherigen Album und der vorherigen Tour. Ich habe „Io che non vivo“ neu aufgenommen; einen berühmten italienischen Song aus den Sechzigerjahren, der in England sogar Radio-fAirplay hatte. Und es war schön zu sehen, wie toll die Fans während der Live-Shows reagierten, wenn ich italienische Songs sang. Der endgültige Entschluss fiel aber erst vor zweieinhalb Jahren, als etwas in meinem Leben geschah, das mich ziemlich aus der Bahn warf…
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Was für ein Ereignis war das?

Ende 2021 starb mein Vater, der meine engste Verbindung zu Italien war. Nach seinem Tod war mir endgültig klar, dass ich dieses Album machen werde. Wenn ich heute darüber nachdenke, war der Kreativprozess zu „Miss Italia“ die beste Therapie für mich, um diesen großen menschlichen Verlust zu verarbeiten. Es war eine Möglichkeit, ihm auch nach seinem Tod näher zu sein und mich zudem auf meine eigene Art und Weise wieder mit einem Teil meiner Wurzeln und der italienischen Kultur auseinanderzusetzen.
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Wie würden Sie im Rückblick die Beziehung zu Ihrem Vater beschreiben?

Sie war kompliziert! Sie war nicht einfach! Aber ich glaube, dass sie auch genau das so stark gemacht hat. Wir haben beide in verschiedenen Phasen unseres Lebens beschlossen, für unsere Vater-Sohn-Beziehung zu kämpfen. Denn wir waren uns beide sehr bewusst, dass wir einander brauchten – auch wenn manchmal einer von uns die falsche Entscheidung getroffen hat und wir uns deshalb wieder weiter voneinander entfernt haben. Trotz mancher Konflikte haben wir immer versucht, eine gemeinsame Basis zu finden und eine tiefere Verbindung zu finden. Wenn wir zusammen waren und es mal keinen Streit gab, dann waren wir sehr glücklich, dann war alles gut! Das sind Momente, die ich tief im Herzen trage.
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Hatten Sie die Chance, sich mit Ihrem Vater in dessen letzter Lebensphase noch weiter anzunähern und bislang Ungesagtes auszusprechen?

Das war nicht wirklich nötig, denn wir haben immer schon sehr offen miteinander gesprochen. Die komplizierteste Zeit in unserer Beziehung war, als sich meine Eltern scheiden ließen und ich noch ein Teenager war. Aber auch diese Zeit hatten wir in Gesprächen bereits Jahre zuvor aufgearbeitet. Durch die große Unterstützung meiner Frau und meiner Kinder konnte ich die letzten zwei Monate im Leben meines Vaters praktisch durchgehend an seiner Seite verbringen. Das war ein großes Geschenk, auch wenn wir aufgrund seiner Krankheit tiefe Gespräch gar nicht mehr möglich waren und er zum Ende hin generell immer weniger in der Lage war, die Dinge zu verstehen, die um ihn passierten. Aber als mein Vater noch lebte, fehlte es mir zu keiner an Tiefe. Was mir zuweilen fehlte, war seine Präsenz.
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Hat sich die Beziehung zu Ihrem Vater verändert, als Sie selbst Vater wurden?

Auch jeden Fall! Dadurch habe ich gelernt, sanfter mit ihm und seinen menschlichen Schwächen umzugehen. Gleichzeitig wurde ich meinem Vater gegenüber aber auch kritischer, weil ich im Rückblick ihn und einige seiner Verhaltensweisen mir, meiner Mutter und der ganzen Familie gegenüber nun noch weniger verstehen konnte. Durch seinen Tod hat sich aber auch meine eigene Rolle im Leben sehr verändert. Wenn mein Vater im selben Raum war wie ich und meine Kinder, war ich immer auch der Sohn meines Vaters. Das stand an erster Stelle und das ist jetzt für immer weg. Jetzt bin ich einfach nur noch ein Vater… Das hat meinen Blick auf die Welt, mein Verhalten und meine Handlungen dramatisch verändert.
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Gemeinsam mit der italienischen Singer-Songwriter-Legende Zucchero haben Sie dessen Superhit „Senza una donna“ neu aufgenommen, der ebenfalls auf „Miss Italia“ zu hören ist. Wie kam diese Zusammenarbeit zustande?

Ehrlich gesagt rein zufällig! Es gab im Vorfeld keinen echten Plan für eine Kollaboration. Alles begann mit meiner Radiosendung, die ich 2023 über italienische Musik moderiert und in der ich auch Zucchero interviewt habe. Wir haben uns auf Anhieb gut verstanden und als er von meinen Plänen hörte, ein Album komplett in Italienisch zu singen, entstand schnell die Idee, eine neue Version von „Senza una donna“ aufzunehmen.
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In diesem Sommer stehen Sie gemeinsam mit Zucchero auch auf der Bühne?

Genau! Im Juli bin ich auf Zuccheros „Overdose d’Amore“-Tour auch bei vier Shows in Deutschland Support-Act. In Italien werden wir natürlich auch diverse gemeinsame Auftritte haben. Zucchero ist für mich nicht nur ein guter Freund, sondern auch eine Art Mentor geworden. Eine erstaunliche Entwicklung, denn wenn man Musik-Legenden wie ihn trifft, weiß man vorher ja nie, wie sie im echten Leben so sind…
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Für mich klingt Ihr Italienisch ziemlich makellos – aber wie ist es, wenn Sie in Italien sind. Hören die Menschen dort einen leichten Akzent heraus?

Die meisten merken sofort, dass etwas nicht stimmt. Was mir übrigens auch sehr oft passiert, wenn ich Englisch spreche… Die Leute fragen dann schnell, woher ich komme. Ich habe allerdings nicht diesen klischeehaften englischen, sondern einen genuesischen Akzent, denn von dort kommt mein Vater. Das fließt mit in mein Italienisch ein, was die Leute ziemlich amüsant finden.
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Betrachten Sie sich als Wanderer zwischen den Kulturen?

Absolut! Meine Vorfahren kommen aus verschiedenen europäischen Ländern – aus Italien, Polen, Deutschland, Österreich. Ich bin in England geboren und in der Schweiz aufgewachsen und betrachte mich selbst durch und durch als Europäer. Was allerdings komisch ist: Wenn ich in Italien bin, dann fühle ich mich ziemlich englisch. Und wenn ich in England bin, fühle ich mich sehr italienisch. Ich habe also immer das Gefühl, dass ich der Typ von außerhalb bin, der nirgendwo wirklich komplett hineinpasst. Deshalb passt das Bild des Wanderers zwischen den Kulturen auch sehr gut.
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Sie leben mit Ihrer Familie in England. Können Sie sich vorstellen, irgendwann einmal nach Italien zu ziehen?

Das ist definitiv ein Ziel, denn ich bin total verliebt in dieses Land. Jedes Mal, wenn ich nach Italien zurückkehre, entdecke ich dort einen komplett neuen Teil: Erst kürzlich war ich in Sizilien und habe mich in Palermo verliebt; wahrscheinlich eine der derzeit coolsten Städte Europas. Im Moment haben meine drei Kinder, die das Teenageralter noch nicht erreicht haben, aber ein wunderbares Leben in Großbritannien und da möchte ich sie nur ungern herausreißen. Meine Frau Jemma und ich sind uns aber einig: Sobald die Kids aus dem Haus sind, ist ein Leben in Italien durchaus ein Ziel.
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Was lieben Sie an Ihrer Frau ganz besonders?

Jemma hat mein Leben für immer verändert. Sie ist meine größte Kraftquelle und Inspiration, mein größter emotionaler Antrieb. Sie sagte als Erste zu mir: Wenn du nicht zufrieden bist, dann werde stärker! Wenn du mehr vom Leben möchtest, dann geh hinaus in die Welt und hole dir mehr. Nicht für mich, sondern für dich! Und wenn du glücklich bist, dann hör auf. Sie war diejenige, die mir aufzeigte, wie wichtig es ist, immer darauf zu achten, wie ich mich tief in meinem Inneren wirklich fühle.
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Als Singer- und Songwriter haben Sie in der Vergangenheit immer wieder mit Top-Stars wie Kylie Minogue, Shania Twain oder Natalie Imbruglia zusammengearbeitet. Letztere ist auf dem neuen Album „Miss Italia“ im Song „Ultime Parole“ ihre Duettpartnerin. Wie schaffen Sie es, derart große Namen musikalisch mit an Bord zu holen?

Das beginnt meistens um zwei Uhr morgens auf einer Party. Man lernt einander kennen, findet sich sympathisch, trinkt und lacht zusammen – und später entsteht dann der Plan, gemeinsam einen Song zu produzieren. Wenn ich dann allerdings ein paar Wochen später tatsächlich anrufe, dann haben es viele auch schon wieder vergessen und ich muss sie daran erinnern, dass sie fest zugesagt hatten. (lacht) Bei Natalie war es allerdings anders.
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Und zwar?

Wir sind bereits seit einiger Zeit gute Freunde und sie wohnt nur fünf Minuten von mir entfernt. Und da Natalie ebenfalls italienische Wurzeln hat, habe ich ihr natürlich von den Plänen zu meinem Album erzählt. Sie war in die Duett-Idee verliebt und hat sofort Ja gesagt, was ich insofern ganz besonders cool und mutig von ihr fand, weil sie vorher noch nie auf Italienisch gesungen hat.
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Was bedeutet Ihnen das Schreiben von neuen Songs?

Es macht mich glücklich, weil es mir das Gefühl gibt, meine Zeit sinnvoll einzusetzen. Wenn ich einen neuen Song schreibe, baue ich etwas auf, das für jemanden nützlich sein und das ein wenig Freude und Kraft schenken könnte: vielleicht für mich, aber hoffentlich noch mehr für jemand anderen. Als Teenager gab es auch mal Momente, in meinem Leben, in denen ich mich einsam, allein und festgefahren fühlte und ich mich gefragt habe, wofür ich meine ganze Energie eigentlich einsetze? Und jedes Mal hat mich das Songschreiben aus so einem Tief wieder herausgeholt.
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Wie viel von unserem Leben ist in Ihren Augen Schicksal, Vorherbestimmung und wie viel ist unser eigenes Tun?

Das ist eine Frage, bei der ich sehr im Zwiespalt bin und über die ich mich oft mit meiner Frau, meinen Kindern und sogar mit meinen Freunden streite. Es gibt Momente, in denen ich mir zu einhundert Prozent sicher bin, dass alles, was passiert, nur an mir lag. Und dann gibt es Situationen, in denen ich mir zu einhundert Prozent sicher bin, dass es das Universum war. Denn ich hatte nichts damit zu tun – und trotzdem ist etwas passiert! Ich denke also, es ist eine Kombination aus beidem. Es gibt Dinge, die man selbst in der Hand hat und andere definitiv. Und es ist schlecht, beides zu verwechseln und sich selbst nicht die Anerkennung zu geben, wenn man es geschafft hat, und sich selbst die Anerkennung zu geben, wenn es eigentlich nur Glück war, ist auch schlecht. Ich denke also, es geht darum, aufmerksam zu sein, denn beides kann passieren.
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Welchen Rat würden Sie Ihrem 18-jährigen Ich geben?

Das zu tun, würde nicht wirklich Sinn machen, denn gute Ratschläge hasse ich bis heute. (lacht) Deshalb würde ich mein 18-jähriges Ich wohl einfach nur in den Arm nehmen und ihm sagen: Mach dir nicht so viele Sorgen, denn alles wird gut werden!

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