Ásgeir macht Musik, die tiefer unter die Haut geht als andere. Mit seinem isländischen Debüt Dýrð í dauðaþögn erzielte er in seiner Heimat einen Sensationserfolg und eroberte sich dann mit der englischsprachigen Fassung In The Silence ein noch breiteres Publikum. Bury the Moon, das neuste Werk des Künstlers, der Fans durch seine Bandbreite, Aufrichtigkeit und Emotionalität begeistert, geht einen mutigen Schritt weiter und dürfte einen bleibenden Eindruck hinterlassen.
Die Geschichte, die Ásgeir mit Bury The Moon (im isländischen Original Sátt) erzählt, beginnt mit einem gebrochenen Herzen und einem Rückzug. Nach dem Auseinanderbrechen einer langen Beziehung wollte der Musiker allem entfliehen und sich in den Weiten der isländischen Landschaft verlieren. Er zog sich in eines der typischen, bei den Isländern beliebten Sommerhäuschen zurück und verbrachte dort den Winter damit, Lieder zu schreiben – allein mit seiner Gitarre und Gedanken, die um Liebe und Verlust kreisten.
„Ich hab nur meine Gitarre, ein kleines Keyboard und ein einfaches Aufnahmegerät mitgenommen“, erklärt er. „Mehr nicht.“
Tage und Wochen vergingen, ab und zu schauten Freunde vorbei, um ihn mit Nahrung und Zuspruch zu versorgen. „Ich hatte immer diese Sehnsucht, einmal ganz allein irgendwohin zu fahren“, sagt Ásgeir. „Es hat mir wirklich gut getan, dort zu sein und mich ohne jede Ablenkung nur der Musik zu widmen. Morgens bin ich joggen gegangen, den Rest des Tages habe ich gearbeitet.“
Die Songs kamen wie von selbst. Akustische Meditationen mischten sich mit Improvisationen auf dem Keyboard, und schließlich hatte Ásgeir genug Material gesammelt, um in die Zivilisation zurückzukehren. „Ich hatte nicht ohne Grund nur Gitarre und Keyboard mitgenommen“, erklärt er. „Ich wollte ein ganz einfaches Album schreiben, eins, das nicht zu viel vorgibt oder nachdenkt. Es sollte einfach nur aus den Songs bestehen, ohne viel Drumherum.“
Im Studio arbeitete er die Ideen weiter aus und holte sich Gleichgesinnte Musiker und Songtexter hinzu, die mit seiner Musik arbeiteten. Dies war schon immer seine Arbeitsweise: Ásgeir formt die Melodien, die Arrangements; die Texte, die das Gegengewicht zu seiner Musik bilden, schreiben andere.
So auch beim ersten Song, den er für das Album produzierte: „Living Water“ ist eine hinreißende Ode an die einzigartige Natur Islands und eine eindringliche Mahnung, sie zu schützen. Ausgangspunkt des Songs war ein Gedicht von Ásgeirs Vater Einar Georg Einarsson.
„Die Gedichte meines Vaters haben mich schon immer fasziniert“, erinnert Ásgeir sich. „Ich glaube, zum ersten Mal habe ich seine Texte verwendet, als ich so zwölf, dreizehn Jahre alt war. Bei „Living Water“ war es so, dass ich beim Lesen der Gedichtsammlung eine Melodie im Kopf hatte und die Verse mir sofort ins Auge fielen, weil sie perfekt dazu passten.“
Schon zu Ásgeirs außergewöhnlichem Debütalbum trug sein Vater Einar Georg Einarsson zahlreiche Texte bei. Die Zusammenarbeit hat die Beziehung zwischen Vater und Sohn vertieft: „Die Texte sind für mich jetzt noch persönlicher, weil mein Vater und ich sie gemeinsam geschrieben haben. Wir haben viel Zeit miteinander verbracht.“
Bury The Moon ist ein berührend persönliches Album. Die Songs lassen die grenzenlose Isolation ahnen, der sich Ásgeir in dem abgelegenen Sommerhaus aussetzte. So spürt man in „Rattled Snow“ die klirrende isländische Kälte, während „Lazy Giants“ einen Blick in den Abgrund des drohenden wirtschaftlichen Zusammenbruchs wirft. „Youth“ dagegen ist eine Reise in die Kindheit und eines der Stücke, für die Ásgeir den Text gemeinsam mit seinem Vater schrieb.
Musikalisch ist das Album ein unmittelbares und dabei immer wieder überraschendes Erlebnis, das von schmerzhaft schönen Folk-Passagen bis zu nüchternen ElectronicKlängen ein breites Feld aufmacht. Das Album verknüpft Ásgeirs vertraute, kraftvolle Klangfülle mit erfrischend neuen und nahezu suchterzeugenden Elementen und schafft so eine Verbindung zwischen dem zutiefst Persönlichen und der Außenwelt.
„Manchmal gefällt es mir, keine Ahnung zu haben, wo ich hin will“, so Ásgeir lächelnd. „Ich fange einfach mit einem Instrument an und gucke, was passiert. Ich möchte mich nicht beschränken, bevor ich ins Studio gehe, aber einige der Songs haben einfach ganz klar zu erkennen gegeben, was sie brauchen.“
Das war auch das Mantra, dem Ásgeir im Studio folgte: „Gib dem Song, was er braucht, und nicht mehr.“
Im Titelsong wird diese Arbeitsweise wie durch ein Brennglas sichtbar. Was als akustische Skizze beginnt, wandelt sich zu einem brodelnden, gebrochenen Electronic-Track und einem der eigenwilligsten Stücke, die Ásgeir bisher produziert hat. „Der Text ist eine Abstraktion,“ erklärt er. „Es geht um jemanden, der versucht, eine Beziehung zu retten. Aber er scheitert.“
Dieses Textexperiment verbindet er mit beißenden Electronic-Elementen und dem Original Schlagzeugpart, den er zuhause mit Logic geschrieben hatte. „Es ist wichtig, nicht zu viel nachzudenken“, betont er. „Es darf ruhig ein bisschen rau sein. Man sollte sich nicht in Überlegungen zum Sound verlieren. Nicht versuchen, den perfekten Sound zu erreichen.“
Aus dieser Bereitschaft, die eigene Unvollkommenheit anzunehmen, ist Ásgeirs bisher bemerkenswertestes Album hervorgegangen. Der in Reykjavik lebende amerikanische Songwriter John Grant half bei der Übersetzung der Texte ins Englische, doch die Stimme, die durchklingt, ist eindeutig Ásgeirs. Es ist dieselbe Stimme, die seinem Debütalbum In The Silence zu einem Sensationserfolg machte – auch wenn dieser Ásgeir weitgehend unbeeindruckt lässt. Ihn interessieren allein das Handwerk, die Kunst und seine Fans.
„Ich freue mich schon auf die Reaktionen und darauf, wie es auf die Leute wirkt“, sagt er. „Ich wollte mit dem Album zurück zu meinen Wurzeln, und vor allem sollte es ehrlich sein: ehrliche Songs mit starken Melodien und Texten.“
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Quelle: Embassy of Music/AdP Records/Samsonido GmbH