Als The Band Anfang 1971 in den noch unfertigen Bearsville Sounds Studios in Bearsville bei Woodstock im US-Staat New York eintrafen, um dort ihr viertes Studioalbum „Cahoots“ aufzunehmen, taten sie dies mit dem Rückenwind von drei gefeierten Longplayern. Schon mit dem im Juli 1968 veröffentlichten Debut „Music From Big Pink“ hatte The Band ein Meisterwerk vorgelegt. Die Mischung aus Country und Blues, R&B und Gospel, Soul und Rockabilly, und wie sie dazu auch wilde Saxofon-Exkurse, geistliche Hymnen, Blaskapellenklänge, Folk und Rock & Roll zusammenbrachten, war vollkommen einzigartig – ein komplett neuer Stil, der den weiteren Kurs der Rock- und Popmusik für immer prägen sollte. Als dann im September des Folgejahres ihr bahnbrechendes gleichnamiges Zweitwerk herauskam, das seither als „The Brown Album“ bezeichnet wird, war immer noch kaum etwas bekannt über die publikumsscheue Combo. Im August 1970 veröffentlichten sie ihr drittes Album „Stage Fright“, das binnen zwölf Tagen auf der Bühne des Playhouse von Woodstock entstand. Nach den ersten Alben wurden sie als eine der aufregendsten und revolutionärsten Gruppen der späten 1960er Jahre gefeiert. Mit dem damals neuen Album galt es, keine Zeit zu verlieren und diese Ausnahmestellung ins nächste Jahrzehnt zu überführen.
Trotz der massiven Erfolge waren The Band auch Anfang der Siebziger noch immer ein absolutes Mysterium. Es gab etliche Gerüchte über die aus vier Kanadiern und einem US-Amerikaner bestehende Band. Fans und Kritiker ersonnen wohl auch deshalb so viele Legenden, weil sie den einzigartigen Sound dieser Gruppe noch immer nicht so ganz greifen oder gar in Worte fassen konnten. Angezogen wie Prediger aus dem 19. Jahrhundert, präsentierten The Band – Garth Hudson (Keyboards, Klavier, Horn), Levon Helm (Schlagzeug, Gesang, Mandoline), Richard Manuel (Keyboards, Gesang, Schlagzeug), Rick Danko (Bass, Gesang, Fiddle) und Robbie Robertson (Gitarre, Klavier, Gesang) – Retrosongs über die Vereinigten Staaten von Amerika und insbesondere auch den Deep South (südöstliche Staaten der USA).
Dieses Jahr feiert Capitol/UMe nun auch das 50. Jubiläum des vierten Klassikeralbums von The Band: Am 10. Dezember 2021 erscheint eine aufwendig produzierte, erweiterte und neu abgemischte Remaster-Jubiläumsedition von „Cahoots“ in einer Vielzahl von Konfigurationen. Flankiert von Neuauflagen als 2CD, 1LP (180g-Heavyweight-Vinyl, schwarz, Half-Speed-Mastering) und der digitalen Veröffentlichung wird der Roots-Rock-Meilenstein ab dem 10. Dezember unter anderem auch als Super Deluxe-Boxset – bestehend aus 2CD, Blu-ray, 1LP und 7“-Vinyl-Boxset – sowie in einer weiteren limitierten LP-Variante (180g, schwarz) erhältlich sein. Sämtliche Jubiläumseditionen entstanden unter der Aufsicht von Robbie Robertson; für den neuen Stereo-Mix, basierend auf den Original-Mastertapes, war wie zuletzt bei den Vorgänger-Neuauflagen Bob Clearmountain verantwortlich.
Die Boxset-, CD- und digitalen Konfigurationen beinhalten eine ganze Reihe von bislang unveröffentlichten Titeln – unter anderem den Bootleg-Mitschnitt „Live at the Olympia Theatre, Paris, May 1971“, der im Rahmen ihrer damaligen Europatournee aufgezeichnet wurde (und The Band in absoluter Live-Topform präsentiert). Dazu gibt es frühe Alternativversionen von „Endless Highway“ und „When I Paint My Masterpiece“ sowie sechs weitere Vorabversionen, Outtakes, Instrumentals und Alternativ-Mixes.
Exklusiv für dieses Jubiläums-Boxset hat Bob Clearmountain obendrein einen neuen Dolby Atmos- sowie einen 5.1-Surround-Mix vom Album und vier Bonustracks angefertigt, die zusammen mit dem neuen Stereomix auf der beiliegenden Blu-ray zu hören sind. Das Mastering übernahm dieses Mal Adam Ayan (Gateway Mastering). Zu den weiteren Highlights der Boxset-Edition zählen eine Nachpressung der 1971 exklusiv in Japan veröffentlichten 7“-Single „Life Is A Carnival“/„The Moon Struck One“, hier zu hören im neuen Stereo-Sound sowie ein 20-seitiges Booklet, in dem neben neuen Liner Notes von Robbie Robertson auch ausführliche Insider-Anekdoten von Rob Bowman zu lesen sind. Abgerundet wird das Bonuspaket durch weitere historische Einblicke und drei Lithografien von Klassikerfotos – von Barry Feinstein, Richard Avedon (seine ikonische Aufnahme vom Rückcover: alle Mitglieder mit geschlossenen Augen) und Gilbert Stone. Dieser malte das langgezogene Bandporträt, das auf dem Cover von Cahoots zu sehen ist. Die limitierte Vinylvariante mit 180g/schwarz erscheint im hochwertigen Design (Tip-on Jacket) und besticht obendrein mit einer exklusiven Lithografie eines Fotos von Barrie Wentzell, das nur dieser Edition beiliegt.
Vorbestellungen der Jubiläums-Editionen von Cahoots sind ab sofort möglich. Als erste Single erscheint die neu abgemischte Version von „Life Is A Carnival“ (2021 Stereo Mix) – ab sofort überall im Stream und als Instant-Download bei Vorbestellungen erhältlich.
Wie schon bei den gefeierten Jubiläumsneuauflagen von „Music From Big Pink“, dem nach dem Bandnamen betitelten zweiten Album und „Stage Fright“ haben Clearmountain und Robertson auch das „Cahoots“-Album mit viel Fingerspitzengefühl bearbeitet, um die Essenz des The Band-Sounds herauszuarbeiten. Anders als zuvor gab Robertson dem Produzenten und Toningenieur dieses Mal eine neue Vorgabe im Umgang mit den „Cahoots“-Originaltonspuren: Clearmountain sollte sie „transformieren“ – und das hinzufügen, was seines Erachtens an den Originalversionen fehlte. In den Liner Notes schreibt Clearmountain dazu: „Robbie sagte zu mir: ‘Betrachte die Originalversionen eher als Rohmixes. Am besten schenkst du ihnen gar nicht sonderlich viel Aufmerksamkeit.’“ Clearmountain hatte freie Hand und konnte die Arrangements ausdünnen und aufgeräumter gestalten, schließlich hatte er Robertsons Segen dazu. Obwohl Robertson absolut happy mit den Jubiläumsversionen der ersten drei Alben war, weil die moderne Technik jeweils so genutzt wurde, um die Limitierungen der damaligen Zeit auszubügeln, setzte er für dieses vierte Album noch einen drauf: „Ich sagte zu Bob: Es gibt keine Regeln! Ich will bei jedem Mix wieder ganz bei null anfangen. Eigentlich möchte ich die Originalversionen gar nicht mehr hören. Ich will das alles so interpretieren, wie wir es heute hören – und ich will ohne Angst und mit ganz viel Experimentierfreude da herangehen.“
Der neue Stereo-Mix 2021 belegt, wie sehr Clearmountain Robertsons Vorgaben beherzigen sollte. Das bestätigt der satte Schlagzeugsound und der mächtige Bass – und das zurückgenommene Zusammenspiel von Gitarre und Orgel lassen hier deutlich mehr Raum für den Gesang. Noch deutlicher wird das alles jedoch, wenn man den Dolby Atmos-Mix durchhört – ein absolutes Novum im Backkatalog von The Band. Als Zuhörer/in platziert einem Clearmountain hier wirklich ins Zentrum: Man ist umgeben von der Band und hat sofort das Gefühl, „live mit dabei zu sein“. „Das ist genau das, was ich eigentlich damit gemeint hatte“, sagt Robertson. „Diese Ehrlichkeit, die man da hört. Das ist ein echter Trip. Etwas ganz Besonderes ist das.“
Die Monate Mai und Juni 1971 verbrachte The Band in Europa, wo sie seit den umstrittenen Shows mit Bob Dylan im Jahr 1966 nicht mehr aufgetreten waren. Fünf Jahre zuvor hatten sie sich noch The Hawks genannt und waren Abend für Abend vom Publikum ausgebuht worden – weil die Fans einfach nicht akzeptieren wollten, dass Bob Dylan plötzlich laut und elektrisch klang. Entsprechend verunsichert waren sie denn auch vor dem ersten Konzert, aber schon dieser erste Gig in Hamburg entpuppte sich als Riesenerfolg. Es war der Startschuss für eine gefeierte Konzertserie, und „wir alle in der Band waren richtiggehend high davon“, erinnert sich Robertson. Ein absolutes Highlight der besagten Tour war der Auftritt im Pariser Olympia am 25. Mai. „Wir waren dort seit den Auftritten mit Bob Dylan nicht gewesen, und der Auftritt in Paris war ja ein absoluter Reinfall gewesen“, erklärt Robertson. „Wir wollten für die Franzosen unbedingt alles geben und eine ganz besondere Show abliefern. Eine ganz besondere Stimmung wollten wir im Olympia kreieren. Und als wir dann abends auf der Bühne standen, hatten wir das Gefühl, dass es uns auch gelungen war.“
Die Setlist des Abends war bezeichnend für die zehn aus je zwei Sets bestehenden Europashows; mitgeschnitten wurde alles von einem französischen Radiosender und einem französischen Kamerateam. Leider existiert heute nur noch die zweite Hälfte des Abends, aber die hat’s in sich und besteht nur aus Klassikern: „The W.S. Walcott Medicine Show“, „We Can Talk“, der von Stevie Wonder geschriebene Four Tops-Hit „Loving You Is Sweeter Than Ever“, „The Night They Drove Old Dixie Down“, „Across The Great Divide“, „The Unfaithful Servant“, „Don’t Do It“, das Garth Hudson-Stück „The Genetic Method“, das in „Chest Fever“ mündet, „Rag Mama Rag“ sowie ein grandioses Cover des Little Richard-Klassikers „Slippin’ And Slidin’“. Auf CD2 als „bootleg, partial concert“ bezeichnet – inoffizieller Teilmitschnitt des Konzerts also –, beweisen allein diese 11 Livesongs eindrucksvoll, wie unglaublich gut The Band an diesem Punkt ihrer Karriere klangen.
Ursprünglich am 15. September 1971 veröffentlicht, vereint „Cahoots“ ein paar der beliebtesten und größten Songs von The Band, darunter „Life Is A Carnival“ und „When I Paint My Masterpiece“. Wie Jonathan Taplin, der langjährige Tourmanager von The Band, in den Liner Notes berichtet, resultierte „Carnival“ auch aus Robertsons Schwäche für einige der schrägen Charaktere, die in Marcel Carnés Film „Les Enfants du Paradise“ (1945) zu sehen waren – ganz abgesehen davon, dass er in seiner Jugend auf dem Rummelplatz der Canadian National Exhibition in Toronto gearbeitet hatte. Neben dem unverkennbaren Groove von The Band ist dieser Mardi-Gras-Einschlag auch dem legendären R&B-Produzenten Allen Toussaint aus New Orleans geschuldet, der mit seinen Bläserarrangements auch einen überraschenden Funk-Faktor ins Spiel bringt.
„When I Paint My Masterpiece“ hingegen basiert auf einem Besuch ihres alten Band-Buddys Bob Dylan – ein Instant-Classic, getragen von Levon Helms Mandoline und Garth Hudsons Akkordeon. Beide Elemente geben dem Stück ein dezidiert europäisches Feeling, das perfekt dazu passt. Absoluter Anspieltipp ist auch die Alternativ-Version von „Masterpiece“ am Ende von CD1, die mit noch mehr Mandoline und Levon am Mikrofon anhebt und dafür auf das 25-sekündige Fade-in-Intro verzichtet. Dazu klingen auch Garths Akkordeon, Rick Dankos lebhaftes Bassspiel und Richard Manuels Schlagzeug ganz anders in dieser Version (denn Manuel saß häufiger hinterm Schlagzeug, wenn Levon sich der Mandoline widmete.)
Im Übrigen ist auf Cahoots noch ein weiterer berühmter Gast zu hören, der in jenen Tagen ebenfalls in Woodstock lebte: Van Morrison, der dem Stück „4% Pantomime“ seinen unvergleichlichen Stempel als Sänger aufdrückt. Eines Nachmittags schaute Van Morrison in dem Studio vorbei, wo Robertson immer komponierte. Er soll sich ein paar Akkordfolgen und eine Melodie auf dem Klavier angehört haben – Morrison sang dann einen spontan erdachten Text dazu und schaute dabei Richard Manuel in die Augen. Morrison, (den Robertson auch den „Belfast Cowboy“ nannte), war von der Melodie dermaßen begeistert, dass er vorschlug, noch am selben Abend ins Studio zu gehen, um den Song aufzunehmen. Nur wenige Stunden und nicht besonders viele Anläufe später war „4% Pantomime“ auch schon offiziell eingespielt. In der finalen Version teilen sich Morrison und Richard Manuel tatsächlich das Mikrofon: Ganz nah beieinander sangen sie (während Manuel auch noch das Klavier beisteuerte), wozu Levon Helm den Beat und Garth Hudson die Orgelparts spielten. (Eine der ersten, noch nicht perfekten Versionen des Songs zählt zu den wichtigsten Outtakes auf CD1).
„Cahoots“ erreichte 1971 Platz 21 der Billboard-Charts und war damit das vierte US-Top-30-Album von The Band in Folge. Fünfzig Jahre später gilt „Cahoots“ längst als Meisterwerk – ein Meilenstein, dessen Songs zum Jubiläum so umwerfend klingen wie nie zuvor.
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Quelle: Capitol/Universal Music | Promoteam Schmitt & Rauch