Quelle
Wer mit LEA über ihre Musik spricht, merkt schnell, dass Kreativität bei ihr aus einer Art natürlicher Gelassenheit entsteht. Sie mag es, wenn Dinge einfach passieren, lässt sich nicht gern bewerten und unperfekte Platten machen ihr keine Angst. Im Gegenteil: Für LEA sind sie spannende Zeitdokumente.
Eine Haltung, die sie vermutlich auch aus ihrem Elternhaus mitgenommen hat: Obwohl auch der Vater beruflich mit Musik zu tun hat, herrscht null Druck. „Weil mein Vater Klavier gespielt hat, wollte ich das auch. Als ich mit sechs dann Unterricht bekam, wollte es zwar können, aber nicht so viel dafür tun. Mein Lehrer musste mich ein Jahr lang mit Stickern motivieren, aber meine Eltern haben mir absoluten Freiraum gelassen. Das ist vielleicht einer der Gründe, warum ich es immer noch so gerne mache – es hat sich nie nach Erwartungshaltung angefühlt.“ Diese Entspanntheit prägt auch den ersten YouTube-Upload mit 15, ihr Musik- und Sonderpädagogik-Studium und das Teamwork mit ihrem langjährigen Manager: „Wir waren ja noch total jung als wir uns kennengelernt haben und sind zusammen langsam ins Business reingewachsen. Wir haben einfach konstant gearbeitet und uns keinen Stress gemacht.“
Stromaufwärts
„Mein erstes Album, „Vakuum“, das 2016 auf Four Music erschienen ist, wird mir immer in Erinnerung bleiben. Es war die verrückteste Sache der Welt, plötzlich die eigene Musik in den Händen zu halten – auch wenn erst mal gar nichts losging. Wir waren natürlich schon ein bisschen traurig, dass die Songs nicht sofort ankamen, aber sagten uns: ‚Okay, dann braucht es wohl noch etwas Zeit‘ und haben einfach weitergemacht.“ Erst der 2017er Remix ihres ursprünglich 2008 hochgeladenen Songs „Wohin willst du“ brachte den Durchbruch: „Die Version klang natürlich ganz anders, aber dadurch auch eine Plattform für meine anderen Sachen zu haben, war für mich völlig in Ordnung. Außergewöhnliche Kollaborationen sind eine Spielwiese, die ich feiere. Ich probiere gerne Dinge aus, wenn sie sich ergeben und finde total interessant, was dabei herauskommt. Ich bin da nicht so festgelegt.“
Was auf jeden Fall herauskam, waren zwei weitere Alben, die beide in die Top 10 einstiegen – „Zwischen meinen Zeilen“ meldete sogar Gold – verschiedenste Features und Co-Writings (u. a. Capital Bra, Max Raabe, Casper, Mark Forster) und ein paar 1LIVE-Kronen. Für LEA kein Grund sich zurückzulehnen. „Ich liebe einfach Output“, sagt sie, und ihr neues Album FLUSS ist tatsächlich bereits ihre vierte Platte in fünf Jahren. „Wenn ich Songs schreibe, möchte ich sie möglichst schnell teilen – ich warte ungern auf den ‚richtigen Moment‘, der ja sowieso nie kommt. Ich bin immer dafür, ein Album nicht liegenzulassen und zu zerdenken – auch wenn man natürlich immer irgendwas noch besser machen kann. Für mich sind es wertvolle Momentaufnahmen, Mitschnitte der eigenen Entwicklung. Ich kann Songs sehr gut gehen lassen, wenn die Essenz stimmt – und Musik ist ja sowieso ständig im Wandel, immer im Fluss.“
Mündung
Dass nicht nur Musik, sondern das ganze Leben sich nicht aufhalten lassen, ist die Erkenntnis, auf der FLUSS sich hat hierhertreiben lassen: „Das Album ist in den letzten anderthalb Jahren entstanden, in denen ja kein Stillstand geherrscht hat, auch wenn es sich erst so angefühlt hat – es geht immer weiter. Auf dem neuen Album sind Themen, die es vorher bei mir nicht gab, weil die Atmosphäre anders war. Das Songwriting hat viel zu Hause stattgefunden; sehr fokussiert, mit dem Rechner auf dem Flügel, in Skype-Sessions mit dem Team, mit dem ich auch schon fast alles für „Treppenhaus“ gemacht habe. Diese Menschen sind mir so wichtig geworden. Wir sind alle so tief im „LEA-Kosmos“, dass wir unsere ganze gesammelte Liebe in FLUSS stecken konnten – auch deshalb ist nicht mehr jeder Song nur aus meinem Leben. Es geht auch um Erfahrungen von anderen, um einen Rückblick auf unsere Zwanziger; um Gefühlswelten, Perspektiven, Lebensabschnitte, Veränderung, neues Terrain und Erinnerungen.“
Im Fluss
Die Reise hat mit den Releases „Schwarz (mit Casper)“ und „Wenn du mich lässt“ begonnen – zwei ganz unterschiedliche Tracks, die die Bandbreite des neuen Albums widerspiegeln. Jetzt, da der Release des Longplayers naht, nimmt die Sache weiter Fahrt auf, denn „Parfum“ trägt uns mitten rein in einen Augenblick, der alles auf den Kopf stellt: „Es geht um Begegnungen bei denen man spürt, dass vorher etwas gefehlt hat. Wenn man es einmal gefühlt hat, ist es wie eine Droge, macht süchtig. Es ist verführerisch und gefährlich zugleich. Wir hatten einfach Lust, das weiterzuspinnen: zum ersten Mal krass feiern gehen; Dinge tun, die man noch nie gemacht hat.“ 90er Synthie-Vibes und ein düsteres Wehen richten den Blick auf Zeiten, die so nicht wiederkommen. Ein ähnliches, aber viel wärmeres Sehnen umgibt „Sommer“. Weiche Tasten in romantischer Geräuschlosigkeit wecken Flashbacks an Schule schwänzen, hinten auf der Vespa sitzen, unendliches Küssen, erste Liebe und letzte Zigaretten.
Von dramatischerem Abschied handelt die Titelsingle, aber der Anlass bleibt offen: „Fluss“ kann das Ende einer engen Freundschaft meinen oder die Apokalypse einer Beziehung – was fortbesteht, ist gemeinsame Geschichte, das mit LEA so eng verwobene Piano und die Magie von Musik, die jedem den Raum für eine eigene Interpretation des Songs lässt. Ziemlich konkret wird es in der wohl einzigen Homestory, die es von der gebürtigen Kasselerin je geben wird, „Dicke Socken“. „Der Song ist eine Liebeserklärung an meine Eltern, die immer hinter mir stehen. Berlin ist heute mein Zuhause, aber mein Elternhaus ist Heimat. Ein Rückzugsort, an dem ich auftanke und mal nicht unterwegs sein muss.“ Wieder so ein LEA-Song, den man sich wie einen Kristall in die Tasche stecken kann, um ihn eine Weile zu vergessen und wiederzufinden, wenn man ihn braucht: Ich steh vorm Haus und hör, wie sie rufen. Kenn den Geruch und die Anzahl der Stufen – noch ein Schritt bis zur Tür, war lang nicht mehr hier.
Der Release von FLUSS wird von „Küsse wie Gift“ mit LUNA flankiert, eine unerwartete Stromschnelle aus Trauer und Unverständnis, wenn falsche Versprechen im Spiel sind – und neben dem Feature von Antje Schomaker auf „L&A“ eine von zwei Kollaborationen mit Kolleginnen: „Endlich konnte ich mal mit Frauen zusammenarbeiten – ich weiß gar nicht, warum ich das nicht schon viel früher gemacht habe!“ Möglicherweise, weil ihr der natürliche Flow wichtiger ist als das Drehbuch – und genau das macht LEA aus: Sie übersetzt diese Leichtigkeit, die ihr so wichtig ist, um sich wohlzufühlen, in ihre Musik: „Bei der Entstehung von FLUSS haben wir uns immer wieder gefragt: ‚Was braucht der Song?‘ und nicht: ‚Was kann man noch alles damit machen?‘. Das war mir immer wichtig, aber diesmal waren wir vielleicht konsequenter denn je. Wir haben versucht, jeden Track sein ideales Gewand zu hüllen, denn eine Message kann durch zu viel Produktion an Raum verlieren. Auf FLUSS haben wir uns getraut, alles genauso auf das Album zu nehmen, wie wir denken, dass es für den jeweiligen Song am besten ist.“
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Quelle: Four Music