SINGLE | PAUL K „DIAMANT IM DRECK“ | ab heute

Öde Betonburg am Stadtrand, dreizehnter Stock. In einer abgedunkelten, spärlich möblierten Einzimmerwohnung sitzen acht junge Männer eng an eng am reich gedeckten Tisch. In ihrer Mitte: PaulK. Er bildet das Zentrum dieser ans letzte Abendmahl erinnernden Musikvideo-Szene; und das, obwohl man ihm ansieht, dass er alles andere als ein Mittelpunktsmensch ist. PaulK ist kein Poser, kein Dandy, kein Hasardeur. Vielmehr wirkt er wie ein geruhsamer Melancholiker, der seine Schwächen kaum verstecken muss — sympathisch, bescheiden, verkopft und mit Weltschmerz im Blick. Aufgewachsen im sozialen Brennpunkt Bonn-Tannenbusch musste Paul früh lernen, dass ihm das Leben nur selten Geschenke macht. Viele Rapper-Kolleg*innen würden die Geschichte des Dreiundzwanzigjährigen, hätten sie sie selbst erlebt, vermutlich zu einer hollywoodreifen Hood Story hochstilisieren. Paul tut das — und das ist beachtlich — nicht, im Gegenteil: Er beschreibt die Siedlung als Moloch ohne Träume oder Sonnenlicht, flext weder mit Crime- noch mit Gang-Geschichten, romantisiert die soziale Kälte in keiner Silbe. Seine Texte sind gänzlich frei von glorifizierend-verkitschtem Pathos, dabei aber trotzdem stets hoffnungsgeladen. Zwischen bleierner Schwere und unaufdringlicher Leichtigkeit, tiefsinnigen Glaubensbekenntnissen, multilingualem Straßenslang und trotzköpfig-humorigen Punchlines macht PaulK Musik für neblige Tage im Spätherbst. Dass die Veröffentlichung seines Debütalbums »DIAMANT IM DRECK« auf den 24. November 2023 angesetzt wurde, ist insofern nur logisch.

Seine Beats kocht PaulK selbst. Er ist — das kann man jeder einzelnen Produktion anhören — kein Freund des Triumphalen. Vielmehr ist Paul ein detailbesessener Minimalist mit Faible fürs Analoge. Die Stimmung seiner Klangteppiche? Mindestens genauso herbstlich, vernieselt und schwermütig wie die seiner Texte. Oftmals lässt Paul betriebsame 808’s in verschlafenes Instrumentenspiel oder experimentelle Soul-Samples crashen: Futuristische Bassschläge und zitternde HiHats treffen auf sehnsuchtsvoll-gedämpfte Jazz-Bläser-, Piano-, Flöten-, Gitarren- oder Klangschalen-Sounds. Ein weiterer roter Faden: Pauls nachgiebige und von Zeit zu Zeit authentisch brechende Stimme, die ein Gefühl freundschaftlicher Wärme ausstrahlt. Mit rheinländisch-weicher Sprachmelodie switcht er im Sekundentakt lässig zwischen Rap- und Gesangsepisoden. Paul flowt hier feinfühlig-geduldig und da anheizend zackig, taucht manchen Part gekonnt in Hall und Autotune und verpackt seine Aussagen dort in klagendes, beinahe an türkische Folklore erinnerndes Lamento.

Wo die Reise begonnen hat, an deren vorläufigem Ende »DIAMANT IM DRECK« steht, ist schwer zu definieren. Fakt ist, dass Paul in einem musikaffinen Elternhaus aufgewachsen ist, 2010 die ersten von Eminem und Nas inspirierten Rap-Zeilen in sein Nokia eingetippt und anschließend etliche Abende in Wohnzimmer-Freestyle-Runden verbracht hat. Irgendwann wurde das Musikmachen zu Pauls größter Leidenschaft, Köln zu seinem Lebensmittelpunkt und das »Stu« zu seinem Partyersatz. Noch vor Veröffentlichung des ersten PaulK-Solo-Songs registrierte ein gewisser reezy sein Talent und nahm ihn instant unter die Fittiche: Paul unterschrieb als zweites Signing bei reezys Label »TEENAGER FOREVER ENT«. Im März 2023 manifestierte er auf TikTok: »Ein Ziel ohne ein Plan ist nichts weiter als ein Wunsch. Der Sommer wird verrückt«. Und das wurde er auch. Im April war Paul mit einem Part auf dem Lugtti-9ine-Ffjodor-Tape »50 Hoodtales« vertreten. Seine allererste Solo-Single »13. STOCK« generierte innerhalb kürzester Zeit knapp 200 000 YouTube-Klicks, die darauffolgenden — »VON DROPBOX ZU HYPE«, »TOP OF THE MOUNTAIN« und »SEPTEMBER« — ließen die Vorfreude der neugewonnenen Anhänger*innen auf die nahende Debüt-LP schrittweise ansteigen.

»DIAMANT IM DRECK« wird sie nicht enttäuschen. Auf insgesamt fünfzehn Anspielstationen zeichnet PaulK eine abenteuerliche Odyssee nach, führt seine Zuhörer*innen schonungslos durch sein Seelenleben und seine Biografie. Die ikonische erste Zeile »ich komm’ nicht mehr klar und das schon seit Jahren« läutet ein herausforderndes »INTRO« ein, das eindrucksvoll umreißt, was Paul meint, wenn er sein Dasein als »wackelig« beschreibt. Verluste, Krankheiten, Verrat, »literweise Nostalgie« und die Flucht in den Rausch ließen ihn zu einem nachtaktiven Lonely Wolf mit tiefen Augenringen und die Dunkelheit zu seinem Zuhause werden. So viel zur Ausgangslage. Im dramaturgischen Verlauf der ersten Albumhälfte gleitet Paul zunächst immer weiter in schwarzmalerische Gedankenspiralen ab, wandelt am Gefrierpunkt: »Ich wart’ auf den Switch der Gezeiten, bisher war nur Pleite, die City vergiftet von Heuchlern«. Zur Mitte der Tracklist hin, im Zuge von »COLONIA«, klart der Himmel langsam auf. Durch Gottes »BLESSINGS«, die Chance künstlerischen Ausdrucks und die in mehreren Songs beschriebene neue Liebe gewinnt Paul zum Ende der Platte hin sein Lächeln zurück. Hervorzuheben ist an dieser Stelle besonders die stimmgetrage, anrührend ehrliche Ballade »TIGER EYES« — »Hilfst du mir, nochmal zu erlernen, wie man liebt?«. Im bildgewaltigen Storyteller »FACTS« gräbt Paul ein letztes Mal in den trübsten Episoden seiner Vergangenheit — mit der Zeile »Ein Bruder wechselt Windeln und der andere die SIM-Karte« gelingt ihm hier der galante Sprung in die Gegenwart. Bevor sich das atmosphärische »OUTRO« in Ewigkeit verästelt, steht die figurative Zeile »Scheiß drauf, auf das was mal war«. PaulK geht es so gut wie noch nie.
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Quelle: © Sony Music