Frauen jenseits der 45 finden gewöhnlich nur noch als liebende Mutti oder verhärmte Karrieristin statt, werden im Showbiz langsam unsichtbar oder mit einem gnädigen „trotz ihres Alters“ gewürdigt. Wie gut, dass es da Ina Müller gibt, die dieses gesellschaftliche Missverständnis Lügen straft. Mit ihrem neuen Album liefert sie den Beweis, dass das Leben 45+ zwar garantiert nicht faltenfrei, aber dafür gelassen, radikal, prall und glücklich sein kann.
Dafür sammelte sie die besten Hamburger Musiker und Kreativen um sich und produzierte 13 Songs, die aus dem Vollen schöpfen. Inhaltlich, musikalisch und stimmlich: Das Ergebnis ist ganz und gar Ina, nur eben besser denn je. „48“ heißt das Werk. Das klingt nach runder, schöner Lieblingszahl, es schwingt aber auch eine Prise Revolution mit. Und tatsächlich: Das Album ist kompromisslos. Ein Plädoyer für das Leben, für die Liebe, den Schmerz, die Lust, tief empfundene Freude, Selbstironie, Erkenntnis und das, was dazwischen liegt.
Im Frühjahr ging sie für ihr viertes Solo-Album mit Texter Frank Ramond auf einem Passagierdampfer in Klausur, um menschliche Makel und Eigenheiten brillant und wortwitzig zu synthetisieren. Ihren besonderen Blick auf sich und das Leben offenbart sie in Songs wie „Spieglein, Spieglein“ oder in der zauberhaften Akustik-Gitarren-Ballade „Wenn Dein Handy nicht klingelt.“ Wenn beim Song „Schuhe“ die Erkenntnis sickert, dass Männer ein Desaster, Hunde korrupt und Kinder undankbar sind und am Ende nur feines Schuhwerk das Leben einer Frau lebenswert macht, dann ist das bester Müllerinnen-Stoff wie die Fans ihn seit Beginn ihrer Solo-Karriere 2006 lieben.
Wie gewohnt schlägt Ina gedanklich brillante Haken. Aber es gibt auch ganz neue Nuancen: Der Tod eines geliebten Freundes („Pläne“) ist auf dem neuen Album ebenso in einen Song gegossen wie ihre unverwüstliche Verbundenheit zu ihren vier Schwestern oder die Freude über den Menschen, der ein Stück Heimat („Nach Hause“) geworden ist. Es schwingt bei aller Müllerschen Frechheit in Stimme und Text so viel Poesie mit, dass es nicht zwangsläufig der Pointe oder Überhöhung bedarf, um zu berühren. Damit ist Ina stärker als jemals zuvor in den 20 Jahren ihrer Karriere als Kabarettistin, Moderatorin, Autorin und Sängerin.
„48“ ist die musikalische Standortbestimmung einer Lebenskennerin. Aber rein autobiografisch zu singen, das wäre der Müllerin zu wenig. Mühelos schaut sie auch in die Herzen ihrer Mitmenschen und bringt die Essenz in Songs wie „Wenn Du nicht da bist“ und „Deja vu“ auf den Punkt. Denn wenn die „Saufen-Singen-Sabbeln-Fachfrau“ ein weiteres Talent hat, dann ist es, ihrem Gegenüber mit Empathie und auf Augenhöhe zu begegnen.
Das ist der Schlüssel zum Erfolg bei „Inas Nacht“ im Schellfischposten. Das gelingt aber ebenso in großer Runde: Eine Viertel Million Fans erlebten die Tour zum „Das wäre Dein Lied gewesen“-Album. Und trotz dieser gigantischen Dimension ist Ina ihren Fans immer nah, so als würde sie ihnen in einem kleinen Club direkt gegenüberstehen.
Beim ersten Hören von „48“ fesseln die Texte. Erst dann fällt auf, welchen Quantensprung Ina Müller musikalisch gemacht hat. Die meisten der 13 Lieder sind bei ihr zuhause am Küchentisch entstanden. Freund und Musikerkollege Johannes Oerding und sie haben erstmals gemeinsam komponiert. Das Ergebnis ist beste deutsche Rock- und Popmusik mit stilistischen Ausflügen in alle Richtungen. Mal in Form einer traumhaften Piano-Ballade („Einen im Sinn“), mal als satte Popsong-Persiflage („Teenager“) oder auch mit wunderschönen Folk-Elemente („Sie schreit nur noch bei Zalando“).
Der Lieblingssong? Schwer zu sagen bei diesem Album. O-Ton Ina Müller: „Es ist uns mit „48“ wohl ein Überraschungs-Ei geglückt. Was zum Naschen, was zum Freuen, was zum Spielen“, meint sie. Man könnte auch ohne Übertreibung sagen: Nie war die Müller-Musik so prall, klug und bunt wie gerade jetzt, mit 48.
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Quelle: 105 Music | Presse Peter